Donnerstag, 29. September 2016

Kritik in Kürze: "The Beatles: Eight Days a Week – The Touring Years", "Demolition", "L'étudiante et Monsieur Henri"

The Beatles: Eight Days a Week – The Touring Years – ★★★★

Als wollte er sich vor dem Oktober-Kinostart seines neuen Dan-Brown-Blockbusters Inferno vorauseilend bei dem Publikum rehabilitieren, das ihn für subtilere Werke wie A Beautiful Mind oder Frost/Nixon schätzt, hat Hollywood-Profi Ron Howard diesen Spätsommer ohne viel Promotion eine kleine, feine Beatles-Dokumentation in Umlauf gebracht. Eight Days a Week beleuchtet, grob gesagt, die erste Hälfte der Karriere der "Fab Four" – die Jahre 1962 bis 1966, als die noch heute populärste Band der Welt noch live auftrat.

Viel Neues fördert Howard, ausgestattet sowohl mit dem ganzen Apple-Records-Fundus als auch mit einigen kaum gesehenen Amateuraufnahmen, zwar nicht zu Tage; die Geschichten aus dem Liverpooler Cavern Club, dem Star-Club in Hamburg, von den Filmsets von A Hard Day's Night und Help! und aus den Hotelzimmern, in denen John, Paul, George und Ringo ihre Spässe trieben, dürften den meisten Fans bestens bekannt sein.

Doch abgesehen davon, dass es nicht schaden kann, all diese Informationen – illustriert mit Konzertmitschnitten, Fernseharchivmaterial und zeitgenössischen Fotos – an einem Ort zusammengetragen zu sehen, setzt Eight Days a Week den frühen, den "roten" Beatles ein unwiderstehliches Denkmal. Die Musikgeschichte wird sich länger an ihre Alben und Texte als an ihre Konzerte erinnern – und selbst Howards Film endet mit dem legendären Schlusston vom Sgt. Pepper's-Endtrack "A Day in the Life" –, doch wer die Beatles hinter "Strawberry Fields Forever" begreifen will, wird nicht umhin kommen, sich mit den Beatles zu beschäftigen, die voller Begeisterung mit "She Loves You" gegen ohrenbetäubendes Kreischen ansangen. "The Touring Years", das wird hier klar, waren ein wundervolles, faszinierendes, einzigartiges Kapitel der Popmusik-Geschichte.



Demolition – ★★★★

Dallas Buyers Club wurde von der Kritik gefeiert und brachte Matthew McConaughey seinen ersten Oscar ein. Das Folgewerk Wild erntete ansprechende Rezensionen und zwei Oscarnominationen. Deutlich verhaltener fällt die Reaktion auf Jean-Marc Vallées neuesten Film, die Tragikomödie Demolition mit Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle, aus. Zu inkohärent sei der jüngste Wurf des C.R.A.Z.Y.- und The Young Victoria-Regisseurs, zu verzettelt, zu emotional distanziert. Doch während alle diese Vorwürfe perfekt auf Dallas Buyers Club und Wild passen – zwei Filme, deren unnötig fragmentierte Struktur gewisse Zweifel aufwarfen, ob Vallée seinen Stil noch im Griff hat –, sind sie in Demolition nur bedingt nachvollziehbar. Es ist der beste Film, den der Kanadier in diesem Jahrzehnt gemacht hat.

Gyllenhaal spielt Davis, einen erfolgreichen Investment-Banker, der nach dem Unfalltod seiner Frau Julia sein Leben zu hinterfragen beginnt: Ist er zufrieden mit seiner Arbeit, die er seinem Schwiegervater (Chris Cooper) zu verdanken hat? Erfüllt ihn sein Leben im Designerhaus? Und hat er Julia überhaupt geliebt? Zugegeben, auf dem Papier bewegt sich Vallée auf wohlbekanntem Terrain. Doch es sind seine Schauspieler – allen voran Gyllenhaal und Cooper – und sein unter anderen Voraussetzungen sperriger Stil, die Demolition zu einem berührenden, überraschend ehrlich wirkenden Film machen.

Stand die Absage an eine chronologische Handlung in Dallas Buyers Club etwa der Entwicklung befriedigender emotionaler Bögen im Wege, trägt der Kunstgriff hier stimmig zum Gesamtkonzept bei: Das Leben verläuft nicht in geraden Bahnen; kaum etwas ist so, wie es scheint; die Kunst besteht darin, sich selber aus neuen Blickwinkeln sehen zu können. Anders als in Wild wirkt es in Demolition überzeugend, wenn Figuren plötzlich aus der Erzählung verschwinden – nur weil eine von Naomi Watts gespielte Frau Davis über seine Krise hinweg hilft, heisst das nicht, dass der Film auf ein romantisches Ende hinauslaufen muss. Ein Tonfall kann kurz angeschlagen und dann wieder grundlegend geändert werden; Komik und Tragik wechseln sich von Sequenz zu Sequenz ab. Kaum denkt man, hinter den narrativen Plan gekommen zu sein, schlagen Vallée und Drehbuchautor Bryan Sipe schon wieder einen Haken. Es ist diese verspielte – aber lebensechte – Unberechenbarkeit, die Vallées Filmen zuletzt gefehlt hat.



L'étudiante et Monsieur Henri – ★★★

Eine Kette von Zufällen führt dazu, dass zwei ungleiche Menschen sich gezwungen sehen, längerfristig viel Zeit miteinander zu verbringen, Es gibt wohl kaum eine Prämisse, die mehr nach französischem Kino schreit, gerade wenn eine der beiden Hauptfiguren von einer aehrwürdigen Schauspiellegende verkörpert wird (man denke an Jeanne Moreau in Une Estonienne à Paris). Ivan Calbéracs Adaption seines eigenen Theaterstücks L'étudiante et Monsieur Henri verläuft nach eben diesem Muster und liefert Schritt für Schritt das, was man davon erwartet.

Die Legende hier ist Claude Brasseur, bekannt aus La guerredes polices und La boum, dessen Monsieur Henri ein Zimmer in seiner Pariser Wohnung an die tollpatschige Studentin Constance (Noémie Schmidt) vermietet. Es folgen Neckereien, heikle Momente, finstere Pläne gegen einen lediglich geduldeten Sohn (Guillaume de Tonquédec) und ein Blick in die tragische Vergangenheit Henris. Das ist sehr sympathisch gemacht – selbst wenn das Ganze mit der Zeit auszufransen beginnt –, kann sich letztlich aber nur dank Schmidt und insbesondere Brasseur über Wasser halten.

Montag, 26. September 2016

The Other Half of the Sky

© Pic-Film SA

★★★

"Es ist Soergel hoch anzurechnen, dass er die Vermittlung und Interpretation dieser Geschichte unkommentiert den Macherinnen der chinesischen Zukunft in die Hände legt – ohne Kommentar, ohne externen Blick. Aber man fragt sich doch, wo das berechtigte Lob für Deng Xiaopings Reformen aufhört und die Romantisierung der kapitalistischen Ungleichheit beginnt."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar).

Sonntag, 25. September 2016

Skizzen von Lou

© 2:1 Film

★★

"Gezeigt wird eine urbane Schweiz, in der Alpen, Kühe und andere Nationalikonen kaum eine Rolle spielen. So weit, so gut. Doch dieser Ansatz allein, das hat die Zürifäscht-Tragödie Mary & Johnny gezeigt, genügt noch nicht, um der modernen Schweiz wirklich gerecht zu werden. Lou, wie schon Mary und Johnny, zeichnet sich trotz spärlicher Dialoge vor allem durch ihren penetranten Starrsinn und die selbstgefällige Inszenierung des eigenen (privilegierten) Weltschmerzes aus. Unter diesen Voraussetzungen Gefühle für ihre Beziehung mit Aro zu empfinden, ist denkbar schwierig."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar).

Freitag, 23. September 2016

Europe, She Loves

© Outside the Box

★★★

"Doch schlussendlich ist Gassmanns Film eine europäische Variation der Katastrophe, die in Heimatland die Schweiz heimsucht: Ein Sturm zieht auf in Europa. Das zeigen nicht nur die eingeschobenen Bilder von bröckelnden Hausfassaden, faschistischen Graffitis und der gekenterten Costa Concordia, sondern auch die omnipräsenten Fernseher und Radios im Leben der Protagonisten. In Griechenland verüben Anhänger der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte politisch motivierte Verbrechen. Man hört von der Apathie der Iren gegenüber ihrer eigenen dahinsiechenden Wirtschaft. Linksparteien verlieren an Boden."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar).

Montag, 19. September 2016

La tortue rouge

©Filmcoopi

★★★★

"Die meisten Zuschauer wird Dudok de Wit mit seiner grossartigen Animation anlocken – veredelt durch Laurent Perez del Mars betörende Musik –, derweil die Handlung viele auf dem falschen Fuss erwischen dürfte. La tortue rouge schaltet nahtlos zwischen Survival-Drama und magischem Realismus hin und her, zwischen stillem Humor – ein Höhepunkt: eine Gruppe von Krabben – und schonungslos sachlich dargestellter Tragik."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar).

Sonntag, 18. September 2016

Finding Dory

© Disney

★★★★

"Letztlich liefert dieser Film genau das, was man von einem guten Sequel erwartet: Er knüpft ans Original an, ohne dieses zu imitieren; er argumentiert überzeugend, dass die Welt, in der er spielt, mehr zu bieten hat als sich in einem Einzelfilm darstellen lässt; er vertieft die in seinem Vorgänger suggerierten Ansätze."

Ganzer Artikel in der aktuellen Ausgabe des Frame-Magazins.

Montag, 12. September 2016

Facing the Bitter Truth in der "NZZ am Sonntag"

Für die NZZ am Sonntag habe ich zwei kurze Texte über die Schweizer Filme Skizzen von Lou und The Other Half of the Sky: Stories of Chinese Businesswomen geschrieben. Zudem erscheint in der nächsten Ausgabe des Frame-Magazins meine Kritik zu Finding Dory.

Mittwoch, 7. September 2016

Kritik in Kürze: "The BFG", "Captain America: Civil War", "Everybody Wants Some!!"

The BFG – ★★★

Die Verfilmung von Roald Dahls Kinderbuchklassiker The BFG um ein Waisenmädchen, das von einem freundlichen Riesen ("Big Friendly Giant") adoptiert wird, gehört in jene Sparte von Steven Spielbergs Filmografie, mit der der Regisseur – zu Unrecht – am häufigsten assoziiert wird. The BFG, wie E.T., Hook oder The Terminal vor ihm, ist nett: nette Thematik, nette Schauwerte, nette Familienunterhaltung. Spielberg steht, trotz kantigeren Blockbustern wie Jaws, Schindler's List, Munich und Lincoln, wie kein Zweiter für professionellen Hollywoodismus – mit genauem Abwägen von Drama, Erbauung und, immer mal wieder, Familienfreundlichkeit.

Diese Seite seines Schaffens lebt er hier genüsslich aus. Von Dahls ulkigen Wortschöpfungen bis zur furzenden Königin von England (Penelope Wilton) ist The BFG ein leichtgewichtiges Stück Popcornkino, in dem sogar die skurrilsten Elemente leicht verdaulich aufbereitet sind. So fällt die Ehre, dieses bei aller Magie doch sehr konventionelle Kinderabenteuer über den Durchschnitt zu heben, für einmal nicht Spielbergs Klasse zu: Es ist der BFG selbst, von Mark Rylance (Oscar für Spielbergs Bridge of Spies) per Motion-Capture verkörpert, welcher der ganzen Sache das nötige Herz verleiht. Seien es seine Diskussionen mit der kleinen Sophie (Ruby Barnhill) oder sei es sein Verhandeln mit den ihn noch überragenden XXL-Riesen – Rylance findet die richtige Balance zwischen erhaben und kindlich, zwischen melancholisch und wunschlos glücklich, und zeigt, weshalb der BFG zu den langlebigsten Dahl-Figuren geworden ist.



Captain America: Civil War – ★★★★

Obwohl man sich vor allzu exzessiven Vergleichen zwischen Marvel und DC hüten sollte, sind sich Captain America: Civil War und Batman v Superman: Dawn of Justice in gewissen Punkten schlicht zu ähnlich, um die Parallele nicht zu ziehen. Beide handeln von einem Bruderkrieg in den Reihen der Superhelden; beide konzentrieren sich auf mehrere Charaktere; beide haben eine übergeordnete Franchisenhandlung voranzutreiben. Doch wo Batman v Superman so viele Dinge auf einmal will, dass sich nicht einmal der Titelkonflikt befriedigend entfalten kann, demonstrieren die Brüder Anthony and Joe Russo, wie es einen auf einer ganzen Comicserie basierenden Plot zu inszenieren gilt – und dies, anders als ihre DC-Pendants, ohne dabei den Sinn für Humor zu verlieren.

Man kann Civil War zwar vorwerfen, dass er trotz einer Laufzeit von knapp 150 Minuten weder dem Publikum noch seinen Figuren sonderlich viel Zeit zum Atmen lässt. Die Geschichte schreitet mit maximalem Utilitarismus von A nach B; es fehlt die Verspieltheit eines Guardians of the Galaxy oder eines Ant-Man. Doch gerade angesichts der Tatsache, dass dieser Film sowohl Captain America (Chris Evans) weiter entwickeln als auch den Weg zu Infinity War, dem dritten Avengers-Teil (mit den Russos auf dem Regiestuhl), ebnen muss, ist die Leistung der Regisseure durchaus beachtlich. Vor dem Hintergrund eines Streits zwischen Steve Rogers/Captain America und Tony Stark/Iron Man (Robert Downey Jr.) um die geplante Verstaatlichung der Avengers, die ihr Gefahrenpotential eindämmen soll, wird ein vielseitiger, aber mehrheitlich übersichtlich gehaltener Blockbuster aufgezogen, in dem sowohl Platz für mitreissende Action als auch für ruhigere, intensivere und immer mal wieder auch humorvolle Momente ist. Politisch war The Winter Soldier zwar stärker, dafür schafft es Civil War besser, Subtext und Unterhaltung aufeinander abzustimmen.

Und wenn Iron Man und Captain America mit ihren jeweiligen Mitstreitern, darunter der zurückgekehrte Winter Soldier (Sebastian Stan) und die neu verpflichteten Black Panther (Chadwick Boseman) und Spider-Man (Tom Holland), in einer spektakulären Splashpage-inspirierten Schlachtsequenz gegeneinander antreten und man von Szene zu Szene seine Loyalität wechselt, wird einem eindrucksvoll vor Augen geführt, wie so ein Superhelden-Clash auszusehen hat.



Everybody Wants Some!! – ★★★★

Richard Linklaters "spirituelle Fortsetzung" zu Dazed and Confused (1993) und Boyhood (2014) spielt am letzten Wochenende der Sommerferien 1980 und zeigt, wie sich eine Gruppe von Baseball-Stipendiaten trainierend, feiernd, blödelnd auf den ersten Collegetag vorbereitet. Biere werden gekippt, Sprüche geklopft, Frauen angemacht, Äxte als Baseballschläger verwendet. Linklater inszeniert dieses ritualisierte Treiben, diesen angeblich wegweisenden Schritt ins Erwachsensein, mit unübersehbarer Nostalgie: Mit unwiderstehlichem Rhythmusgefühl beschwört Everybody Wants Some!! die frühen Achtzigerjahre herauf – wie hiess es noch in Dazed and Confused: "Maybe the 80s will be radical!" – und kreiert so ein mustergültiges Feelgood-Kinoerlebnis. Das goldene Licht texanischer Spätsommerabende, die Discos und Bars mit ihren Billardtischen und Jukeboxen, die Mode, die Sprache, die Musik – vom ersten Moment an möchte man am liebsten selber in diese Welt eintauchen.

Die Kehrseite ist jedoch, dass Linklater hier letztlich – trotz homoerotischer Untertöne – der frauenverachtenden Hypermännlichkeit dieser Ära ein Denkmal setzt. Feiern wäre zu viel gesagt – immerhin geschieht Komödiantisches fast ausschliesslich auf Kosten der männlichen Protagonisten –, doch an der Tatsache, dass der Film durchgehend auf seine durchaus sympathischen Macho-Figuren fokussiert ist und nur Platz für eine einzige dreideimensionale Frauenfigur findet, führt kein Weg vorbei. Das tut dem Reiz von Everybody Wants Some!! keinen Abbruch – auch weil es Linklater im Kern um das Finden der eigenen Identität, was auch immer sie sein mag, geht; doch es ist ein Aspekt, über den es sich zu sprechen lohnt.

Dienstag, 6. September 2016

Kritik in Kürze: "The Assassin", "Batman v Superman: Dawn of Justice", "Belgica"

Aus diesen und jenen Gründen ist in den letzten Monaten das Rezensieren auf Facing the Bitter Truth etwas zu kurz gekommen. Dem soll mit Einführung der "Kritik in Kürze"-Reihe entgegen gewirkt werden: Ältere Kinostarts, bei denen es nicht für eine ausführliche Besprechung gereicht hat, erhalten so doch noch einen Text zugesprochen, wodurch gewisse Sidebar-Bewertungen vielleicht eher nachvollziehbar werden.



The Assassin (刺客聶隱娘, Cìkè Niè Yǐnniáng) – ★★★

Es besteht kein Zweifel darüber, dass der Gewinner des Cannes-Regiepreises 2015 zu den ästhetisch beeindruckendsten Filmen des Jahres gehört. In minutiös komponierten, farbdramaturgisch grandiosen Tableaux erzählen der taiwanische Filmemacher Hou Hsiao-Hsien und sein Kameramann Mark Lee Ping Bin eine Wuxia-Geschichte aus dem achten Jahrhundert, vor dem Hintergrund des Niedergangs der chinesischen Tang-Dynastie: Im Auftrag der Nonne Jiaxin (Fang Yi-Sheu) ermordet Niè Yǐnniáng (Shu Qi) korrupte Regierungsbeamte. Doch als sie eines ihrer Ziele verschont, bestraft Jiaxin sie mit einem grausamen Auftrag: Yǐnniáng muss den Gouverneur Tian Ji'an (Chang Chen) töten, ihren Cousin, mit dem sie einst verlobt war.

Die grossen Emotionen, die dieser Handlung inne liegen, lässt Hou nur sehr spärlich an die Oberfläche kommen. Einzig in den kurzen, ausnahmslos atemberaubend inszenierten Kampfszenen öffnen sich Risse in der ruhigen, streng kodierten Ordnung des imperialen China. Ansonsten lebt der Film seine Interpretation des historischen Schauplatzes: Dialoge, Blickwechsel, Entscheidungen – alles spielt sich wie hinter einem Seidenvorhang ab; die Atmosphäre ist kalt, die Bewegungen ohne Schwert gedämpft und gemessen. Man möchte, allein schon aufgrund der berückenden Bilder, eintauchen in diese Welt, die sich jedoch vehement gegen derartige Grenzüberschreitungen zu wehren scheint. The Assassin ist nicht zuletzt ein Film über rigide soziale Barrieren – Barrieren, die er beinahe allzu erfolgreich wiederzugeben vermag.



Batman v Superman: Dawn of Justice – ★★

Viel wurde geschrieben über den zweiten Eintrag ins "DCEU", die Antwort von DC und Warner Bros. auf Disneys "Marvel Cinematic Universe", in dem Iron Man, Captain America und Co. seit bald zehn Jahren Superschurken jagen und Einspielrekorde feiern. Über Ben Affleck wurde im Vorfeld geschimpft, den neuen Batman, der in die Fussstapfen von Christian Bale treten soll. Über Drehbuchautor David S. Goyer, der Comicfans gerne als einsame Nerds beschimpft, und über Regisseur Zack Snyder, der gerne damit prahlt, die "düstersten" Comicverfilmungen anzubieten. Und seit Batman v Superman im Frühling angelaufen ist, herrscht im Internet buchstäblich Krieg zwischen denen, die darin ein unzumutbares Machwerk sehen, und denen, die Snyders (bislang) ambitioniertestes Projekt mit Christopher Nolans Batman-Meisterwerk The Dark Knight vergleichen.

Nun ja. Man kann argumentieren, dass Batman v Superman nach Snyders Superman-Reboot Man of Steel einen Schritt nach vorne darstellt. Anders als sein Vorgänger läuft dieser Film wenigstens nie Gefahr, in einem endlosen, über weite Strecken unverständlichen Action-Morast zu versinken. Diese "Ehre" bleibt hier der Handlung überlassen, die Superman (Henry Cavill) auf einen hoffnungslos verwinkelten Feldzug gegen seinen Erzfeind Lex Luthor (ein schrecklicher Jesse Eisenberg) schickt; derweil Batman (Affleck – der schauspielerische Höhepunkt) anderen DC-Superhelden auf der Spur ist.

Snyder liefert ein heilloses Durcheinander aus Handlungssträngen, Charakteren und Perspektiven, in dem zwar alles erwähnt, aber eben nichts wirklich vertieft wird. Henry Cavill zeigt noch weniger Profil als in Man of Steel – und auch seine Chemie mit Amy Adams' Lois Lane ist, gelinde gesagt, ausbaufähig –, was die ihm auferlegte Jesus-Symbolik noch lächerlicher wirken lässt. Wonder Woman (Gal Gadot) bleibt – obschon sie für einige Minuten begeisternder Action sorgt und den beiden Titelhelden quasi die Show stiehlt – ein viel zu spät eingeführter Gimmick. Und das vielleicht sprechendste Versagen eines zweieinhalbstündigen Films, der sich Batman v Superman nennt: Der Titel gebende Kampf, dessen Beilegung wohl bald schon einen ähnlich zweifelhaften Kult erlangen wird wie Arnold Schwarzeneggers Schnee-Wortspiele in Batman & Robin, dauert keine zehn Minuten.



Belgica – ★★★

Vier Jahre nach dem oscarnominierten The Broken Circle Breakdown, einem der bislang besten Musikfilme der 2010er Jahre, wagt Felix Van Groeningen sein Folgewerk – und auch das erzählt eine Familiengeschichte im Zeichen der Musik. Die Brüder Jo (Stef Aerts) und Frank (Tom Vermeir) verwandeln ein Café in Gent in ein Konzertlokal, was dem älteren Frank auf Dauer jedoch gar nicht bekommt: Er vernachlässigt Frau und Kind und entdeckt seine jugendliche Begeisterung für Alkohol und Drogen wieder – während Jo darum kämpft, den Club finanziell und legal über Wasser zu halten.

Auch in Belgica legt Van Groeningen sein beträchtliches Talent für raues, direktes Kino – irgendwo zwischen Dogme 95 und The Wolf of Wall Street – an den Tag, wobei sich dies hier vor allem an der Inszenierung festmachen lässt. Während sich die diversen Konzerteinlagen, allen voran die durch die Menge ziehende Akkordeon-Combo – womöglich eine diskrete Anspielung auf den Entr'acte von Leos Carax' Holy Motors –, ins Gedächtnis einbrennen, greifen hier die melodramatischen Aspekte weniger gut als noch in The Broken Circle Breakdown. Die Handlung speist sich nicht aus der Musik; es fehlt das stringente Konzept. Man erlebt etwas in Belgica, keine Frage; doch wirklich unter die Haut geht der Film wenig.