Montag, 28. November 2016
Games erobern die Leinwand
In der neuesten Ausgabe des Frame-Magazins findet sich ein Artikel von mir über Gameverfilmungen im Allgemeinen und die anstehende Assassin's Creed-Adaption im Speziellen. Erhältlich ist das Heft an jedem Kiosk!
Sonntag, 20. November 2016
Kritik in Kürze: "Heart of a Dog", "Hell or High Water", "High-Rise"
Heart of a Dog – ★★★★★
Der experimentelle Essay-Dokumentarfilm der amerikanischen Avantgardistin Laurie Anderson verbindet tibetische Philosophie mit Gedanken über die US-Gesellschaft nach dem 11. September 2001 und den NSA-Skandal mit eigenen Kindheitserinnerungen. Als emotionales und thematisches Zentrum dient ihr ihre Beziehung zur Hündin Lolabelle, deren Tod die Produktion von Heart of a Dog inspirierte.
Anderson verflicht Animation mit Handyvideos und Naturaufnahmen und erzielt so, im Zusammenspiel mit der assoziativen Erzählstruktur, einen faszinierenden Effekt. Ähnlich wie Alexander Sokurovs Francofonia ist auch dieses Werk ein beeindruckender filmischer Gedankenspaziergang, in dem das Alltägliche innert weniger Augenblicke erst ins Weltpolitische, dann ins Spirituelle umschlagen kann. Man muss Andersons esoterisch-punkige Sicht auf die Welt nicht teilen, um anzuerkennen, mit welchem Tiefgang, welcher Ehrlichkeit, welcher Poesie sie sich hier von der Klavier spielenden, Gemälde malenden Lolabelle verabschiedet.
Hell or High Water – ★★★★
Dem ländlichen Westen von Texas geht es nicht gut. Das ist unübersehbar in David Mackenzies Kriminaldrama Hell or High Water, in dem zwei Brüder (Chris Pine, Ben Foster) eine Reihe von Banküberfällen begehen, um die Familienfarm zu retten, während ihnen Texas Ranger Hamilton (Jeff Bridges) dicht auf den Fersen ist. Am Rande der Highways werben Anwälte und Kredithaie, in jedem zweiten Vorgarten rostet ein Traktor vor sich hin, im Fernsehen versprechen Prediger den Leuten Seelenheil für Geld, die Indianer-Casinos im nahen Oklahoma sind zum Bersten voll von verzweifelten Glücksrittern.
Diese Bilder, die Mackenzie äusserst prominent in seine Handlung einbaut, mögen die wirtschaftliche Notlage in der amerikanischen Peripherie hie und da etwas gar plakativ veranschaulichen – fast werden unangenehme Erinnerungen an Andrew Dominiks Killing Them Softly wach –, doch ihren Zweck verfehlen sie letztlich dennoch nicht. Hell or High Water interpretiert auf intelligente Weise das klassische Western-Motiv der Jagd des aufrechten Gesetzeshüters auf die niederträchtigen Räuber um, indem sie in einen nuancierten Kontext gestellt wird. A Perfect World trifft auf No Country for Old Men, sozusagen.
Emotional getragen wird das Ganze von den hervorragend aufspielenden Chris Pine, Ben Foster, Jeff Bridges sowie Gil Birmingham in der Rolle von Hamiltons Ranger-Partner. Während Pine eine für sein Saubermann-Image erfrischend untypische Rolle spielt, empfiehlt sich der mühelos zwischen Humor und Melancholie pendelnde Bridges einmal mehr für die Oscarsaison.
High-Rise – ★★★
Obwohl Ben Wheatley (Down Terrace, Kill List, Sightseers) einer der spannendsten britischen Regisseure der Gegenwart ist, lässt sein erster rundum begeisternder Film noch immer auf sich warten. Einem grossartigen Film am nächsten kam er 2013 mit dem surrealistischen A Field in England über eine schicksalhafte Begegnung während des englischen Bürgerkriegs. In High-Rise wiederum, einer Verfilmung von J. G. Ballards gleichnamiger Romandystopie, entwickelt er zwar seine visuellen Qualitäten weiter, doch vorbehaltlose Euphorie vermag auch dieses Projekt nicht auszulösen.
Die parabelhafte Erzählung dreht sich um Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston), der sein Leben in einem hochmodernen Wolkenkratzer am Stadtrand Londons verbringt, entworfen von einem Stararchitekten (Jeremy Irons), der sich darum bemüht, alle Annehmlichkeiten des Lebens in einem Gebäude zu vereinen. In den unteren Etagen haust die Unterschicht, weiter oben feiern die Reichen und Schönen prunkvolle Feste. Laing und seine neuen Bekanntschaften werden allmählich in den gärenden Klassenkampf verwickelt. In der letzten Szene ist eine Rede Margaret Thatchers über den Segen des kapitalistischen Individualismus zu hören.
Was High-Rise an Subtilität fehlt – anders als etwa dem inhaltlich ähnlichen, ideologisch aber weitaus komplexeren Snowpiercer –, macht er auf der ästhetischen Ebene wett: Ausstattung und Bildgestaltung, inspiriert vom Kino und der Mode der graubraunen englischen Siebzigerjahre, geben dem Film jenes starke Profil, das die abgedroschene Gesellschaftskritik vermissen lässt. Auf Wheatleys ganz grossen Wurf muss also weiter gewartet werden.
Der experimentelle Essay-Dokumentarfilm der amerikanischen Avantgardistin Laurie Anderson verbindet tibetische Philosophie mit Gedanken über die US-Gesellschaft nach dem 11. September 2001 und den NSA-Skandal mit eigenen Kindheitserinnerungen. Als emotionales und thematisches Zentrum dient ihr ihre Beziehung zur Hündin Lolabelle, deren Tod die Produktion von Heart of a Dog inspirierte.
Anderson verflicht Animation mit Handyvideos und Naturaufnahmen und erzielt so, im Zusammenspiel mit der assoziativen Erzählstruktur, einen faszinierenden Effekt. Ähnlich wie Alexander Sokurovs Francofonia ist auch dieses Werk ein beeindruckender filmischer Gedankenspaziergang, in dem das Alltägliche innert weniger Augenblicke erst ins Weltpolitische, dann ins Spirituelle umschlagen kann. Man muss Andersons esoterisch-punkige Sicht auf die Welt nicht teilen, um anzuerkennen, mit welchem Tiefgang, welcher Ehrlichkeit, welcher Poesie sie sich hier von der Klavier spielenden, Gemälde malenden Lolabelle verabschiedet.
Hell or High Water – ★★★★
Dem ländlichen Westen von Texas geht es nicht gut. Das ist unübersehbar in David Mackenzies Kriminaldrama Hell or High Water, in dem zwei Brüder (Chris Pine, Ben Foster) eine Reihe von Banküberfällen begehen, um die Familienfarm zu retten, während ihnen Texas Ranger Hamilton (Jeff Bridges) dicht auf den Fersen ist. Am Rande der Highways werben Anwälte und Kredithaie, in jedem zweiten Vorgarten rostet ein Traktor vor sich hin, im Fernsehen versprechen Prediger den Leuten Seelenheil für Geld, die Indianer-Casinos im nahen Oklahoma sind zum Bersten voll von verzweifelten Glücksrittern.
Diese Bilder, die Mackenzie äusserst prominent in seine Handlung einbaut, mögen die wirtschaftliche Notlage in der amerikanischen Peripherie hie und da etwas gar plakativ veranschaulichen – fast werden unangenehme Erinnerungen an Andrew Dominiks Killing Them Softly wach –, doch ihren Zweck verfehlen sie letztlich dennoch nicht. Hell or High Water interpretiert auf intelligente Weise das klassische Western-Motiv der Jagd des aufrechten Gesetzeshüters auf die niederträchtigen Räuber um, indem sie in einen nuancierten Kontext gestellt wird. A Perfect World trifft auf No Country for Old Men, sozusagen.
Emotional getragen wird das Ganze von den hervorragend aufspielenden Chris Pine, Ben Foster, Jeff Bridges sowie Gil Birmingham in der Rolle von Hamiltons Ranger-Partner. Während Pine eine für sein Saubermann-Image erfrischend untypische Rolle spielt, empfiehlt sich der mühelos zwischen Humor und Melancholie pendelnde Bridges einmal mehr für die Oscarsaison.
High-Rise – ★★★
Obwohl Ben Wheatley (Down Terrace, Kill List, Sightseers) einer der spannendsten britischen Regisseure der Gegenwart ist, lässt sein erster rundum begeisternder Film noch immer auf sich warten. Einem grossartigen Film am nächsten kam er 2013 mit dem surrealistischen A Field in England über eine schicksalhafte Begegnung während des englischen Bürgerkriegs. In High-Rise wiederum, einer Verfilmung von J. G. Ballards gleichnamiger Romandystopie, entwickelt er zwar seine visuellen Qualitäten weiter, doch vorbehaltlose Euphorie vermag auch dieses Projekt nicht auszulösen.
Die parabelhafte Erzählung dreht sich um Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston), der sein Leben in einem hochmodernen Wolkenkratzer am Stadtrand Londons verbringt, entworfen von einem Stararchitekten (Jeremy Irons), der sich darum bemüht, alle Annehmlichkeiten des Lebens in einem Gebäude zu vereinen. In den unteren Etagen haust die Unterschicht, weiter oben feiern die Reichen und Schönen prunkvolle Feste. Laing und seine neuen Bekanntschaften werden allmählich in den gärenden Klassenkampf verwickelt. In der letzten Szene ist eine Rede Margaret Thatchers über den Segen des kapitalistischen Individualismus zu hören.
Was High-Rise an Subtilität fehlt – anders als etwa dem inhaltlich ähnlichen, ideologisch aber weitaus komplexeren Snowpiercer –, macht er auf der ästhetischen Ebene wett: Ausstattung und Bildgestaltung, inspiriert vom Kino und der Mode der graubraunen englischen Siebzigerjahre, geben dem Film jenes starke Profil, das die abgedroschene Gesellschaftskritik vermissen lässt. Auf Wheatleys ganz grossen Wurf muss also weiter gewartet werden.
Freitag, 18. November 2016
Kritik in Kürze: "Doctor Strange", "Ghostbusters", "Green Room"
Doctor Strange – ★★★
Nach Guardians of the Galaxy und Ant-Man baut Marvel seine Kino-Figurensammlung mit Doctor Strange weiter aus. Als der Charakter Dr. Stephen Strange 1963 von den Verlagspionieren Stan Lee und Steve Ditko ins Leben gerufen wurde, sollte er dazu dienen, dem primär auf Science-Fiction getrimmten Superheldenuniversum eine mystischere, magischere Note zu verleihen. Scott Derricksons Film soll nun dasselbe Kunststück vollbringen.
Auf der visuellen Ebene gelingt dies problemlos. Nachdem ein Autounfall den arroganten Neurochirurgen Dr. Strange (Benedict Cumberbatch) die Kontrolle über seine Hände kostet, sucht er Hilfe im Kloster der mysteriösen Ancient One (Tilda Swinton), die ihn über die Geheimnisse des "Multiversums" aufklärt: Indem man sich die Kraft anderer Universen zu Nutze macht, kann man magieähnliche Wunder vollbringen. Aus dieser Prämisse holt Derrickson stellenweise atemberaubende, geradezu surreale Actionszenen heraus, die selbst im Marvel-Kanon ihresgleichen suchen.
Diese sind allerdings in eine Handlung eingebettet, die man in dieser Form schon allzu oft gesehen hat. Dr. Strange, die Ancient One sowie ihre magischen Mitstreiter Wong (Benedict Wong) und Mordo (Chiwetel Ejiofor) kämpfen gegen den rebellischen Kaecilius (Mads Mikkelsen), der eine dunkle Macht aus dem Multiversum zu beschwören versucht. Das ist insgesamt zwar ganz unterhaltsam, wird dem ästhetischen Versprechen von Doctor Strange aber nicht gerecht.
Ghostbusters – ★★★★★
Wer Belege braucht, dass Sexismus auch im Jahr 2016 noch weit verbreitet ist, muss nichts anderes tun, als sich im Internet nach Meinungen über Paul Feigs Ghostbusters-Neuauflage umsehen. Ob Facebook, Twitter, YouTube oder Amazon, überall tummeln sich die wütenden Männer, für die der mit Frauen besetzte Reboot der gleichnamigen Kult-Horrorkomödie aus den Achtzigerjahren den Tod jeglicher künstlerischer Integrität bedeutet – mehr als Jurassic World, Dredd, RoboCop und Evil Dead. Ein Ghostbusters-Film mit Melissa McCarthy, Kristen Wiig, Leslie Jones und Kate McKinnon statt mit Bill Murray, Dan Aykroyd, Harold Ramis und Ernie Hudson biedere sich der "Political-Correctness-Brigade" an, sei sexistisch gegenüber Männern und verstünde wahre Komödie nicht, so einige der gängigsten Kritiken, welche schon Monate vor Kinostart die Runde machten.
Diesen Stimmen Gehör zu schenken, lohnt sich nicht. Nicht nur ist Feigs Ghostbusters der wohl lustigste Film des Jahres 2016; er dürfte sogar Ivan Reitmans Original übertreffen, dessen überlebende Schauspieler sich in Cameo-Auftritten die Ehre geben. Feig und seine Co-Autorin, die Parks and Recreation-Veteranin Katie Dippold, haben es hervorragend verstanden, die Essenz der Franchise – mit übernatürlichen Gruselelementen angereicherte Albernheiten aus der New Yorker und Chicagoer Impro-Schule – zuzuspitzen und schlagkräftiger zu machen. Reitmans allzu ambitiöse Genre-Ansätze werden auf gewollt überdrehte und gerade deshalb sehr effektive 3-D-Effekte beschränkt, was den vier grossartig agierenden Hauptdarstellerinnen – allesamt gestandene Saturday Night Live-Grössen – viel Zeit zum Scherzen lässt, wobei sie von einem wunderbar einfältigen Chris Hemsworth (Thor) noch unterstützt werden.
Wer will, könnte den relativ herkömmlichen Plot der Geisterjäger-Herkunftsgeschichte oder die – mit Ausnahme der 3-D-Effekte – unspektakuläre Ästhetik bemängeln, doch das würde am Kern der Sache vorbeizielen. Ghostbusters ist eine aussergewöhnlich witzige Komödie, die darüber hinaus auch unübersehbar auf den eklatanten Mangel weiblicher Protagonisten in Hollywood, gerade im Bereich von Komödie und Action, hinweist – das Kino wäre reicher, wenn es mehr Figuren wie etwa Kate McKinnons Dr. Jillian Holtzman gäbe. Es ist zu hoffen, dass die Studios den ignoranten Hass-Kommentaren kein Gehör schenken.
Green Room – ★★★★
Jeremy Saulniers "Farbenlehre" geht weiter: Nach dem per Kickstarter finanzierten Thrillerdrama Blue Ruin (2013) präsentiert der 40-jährige "Jung"-Regisseur den menschlichen Horrorfilm Green Room, in dem eine erfolglose Punkband in einem Neonazi-Club in Oregon auftritt und danach im Backstage-Bereich – dem sogenannten "Green Room" – eine Leiche findet. In der Folge werden Pat (der im Sommer verstorbene Anton Yelchin), Sam (Alia Shawkat), Reece (Joe Cole) und Tiger (Callum Turner) vom lokalen Aryan-Brotherhood-Führer (Patrick Stewart) am Verlassen des Geländes gehindert, woraufhin das Quartett die Flucht plant.
Saulniers Stil ist noch körperlicher und dreckiger geworden seit Blue Ruin. Green Room ist eine brutale, blutige Angelegenheit, wodurch er die Klassifizierung als Horrorfilm wohl verdient hat. Doch wie ein David Robert Mitchell (It Follows) oder ein Dan Trachtenberg (10 Cloverfield Lane) beruft sich auch Saulnier auf die psychologische Tradition von John Carpenter. Sein Film lebt von seiner beklemmenden Atmosphäre, von den durchgehend nachvollziehbar und intelligent agierenden Figuren, von seinem straffen Spannungsbogen, von seinem minimalistischen Spiel mit dem Schauplatz, von seinem pointierten Blick in die Abgründe des amerikanischen Konservatismus. So geht Genrekino.
Nach Guardians of the Galaxy und Ant-Man baut Marvel seine Kino-Figurensammlung mit Doctor Strange weiter aus. Als der Charakter Dr. Stephen Strange 1963 von den Verlagspionieren Stan Lee und Steve Ditko ins Leben gerufen wurde, sollte er dazu dienen, dem primär auf Science-Fiction getrimmten Superheldenuniversum eine mystischere, magischere Note zu verleihen. Scott Derricksons Film soll nun dasselbe Kunststück vollbringen.
Auf der visuellen Ebene gelingt dies problemlos. Nachdem ein Autounfall den arroganten Neurochirurgen Dr. Strange (Benedict Cumberbatch) die Kontrolle über seine Hände kostet, sucht er Hilfe im Kloster der mysteriösen Ancient One (Tilda Swinton), die ihn über die Geheimnisse des "Multiversums" aufklärt: Indem man sich die Kraft anderer Universen zu Nutze macht, kann man magieähnliche Wunder vollbringen. Aus dieser Prämisse holt Derrickson stellenweise atemberaubende, geradezu surreale Actionszenen heraus, die selbst im Marvel-Kanon ihresgleichen suchen.
Diese sind allerdings in eine Handlung eingebettet, die man in dieser Form schon allzu oft gesehen hat. Dr. Strange, die Ancient One sowie ihre magischen Mitstreiter Wong (Benedict Wong) und Mordo (Chiwetel Ejiofor) kämpfen gegen den rebellischen Kaecilius (Mads Mikkelsen), der eine dunkle Macht aus dem Multiversum zu beschwören versucht. Das ist insgesamt zwar ganz unterhaltsam, wird dem ästhetischen Versprechen von Doctor Strange aber nicht gerecht.
Ghostbusters – ★★★★★
Wer Belege braucht, dass Sexismus auch im Jahr 2016 noch weit verbreitet ist, muss nichts anderes tun, als sich im Internet nach Meinungen über Paul Feigs Ghostbusters-Neuauflage umsehen. Ob Facebook, Twitter, YouTube oder Amazon, überall tummeln sich die wütenden Männer, für die der mit Frauen besetzte Reboot der gleichnamigen Kult-Horrorkomödie aus den Achtzigerjahren den Tod jeglicher künstlerischer Integrität bedeutet – mehr als Jurassic World, Dredd, RoboCop und Evil Dead. Ein Ghostbusters-Film mit Melissa McCarthy, Kristen Wiig, Leslie Jones und Kate McKinnon statt mit Bill Murray, Dan Aykroyd, Harold Ramis und Ernie Hudson biedere sich der "Political-Correctness-Brigade" an, sei sexistisch gegenüber Männern und verstünde wahre Komödie nicht, so einige der gängigsten Kritiken, welche schon Monate vor Kinostart die Runde machten.
Diesen Stimmen Gehör zu schenken, lohnt sich nicht. Nicht nur ist Feigs Ghostbusters der wohl lustigste Film des Jahres 2016; er dürfte sogar Ivan Reitmans Original übertreffen, dessen überlebende Schauspieler sich in Cameo-Auftritten die Ehre geben. Feig und seine Co-Autorin, die Parks and Recreation-Veteranin Katie Dippold, haben es hervorragend verstanden, die Essenz der Franchise – mit übernatürlichen Gruselelementen angereicherte Albernheiten aus der New Yorker und Chicagoer Impro-Schule – zuzuspitzen und schlagkräftiger zu machen. Reitmans allzu ambitiöse Genre-Ansätze werden auf gewollt überdrehte und gerade deshalb sehr effektive 3-D-Effekte beschränkt, was den vier grossartig agierenden Hauptdarstellerinnen – allesamt gestandene Saturday Night Live-Grössen – viel Zeit zum Scherzen lässt, wobei sie von einem wunderbar einfältigen Chris Hemsworth (Thor) noch unterstützt werden.
Wer will, könnte den relativ herkömmlichen Plot der Geisterjäger-Herkunftsgeschichte oder die – mit Ausnahme der 3-D-Effekte – unspektakuläre Ästhetik bemängeln, doch das würde am Kern der Sache vorbeizielen. Ghostbusters ist eine aussergewöhnlich witzige Komödie, die darüber hinaus auch unübersehbar auf den eklatanten Mangel weiblicher Protagonisten in Hollywood, gerade im Bereich von Komödie und Action, hinweist – das Kino wäre reicher, wenn es mehr Figuren wie etwa Kate McKinnons Dr. Jillian Holtzman gäbe. Es ist zu hoffen, dass die Studios den ignoranten Hass-Kommentaren kein Gehör schenken.
Green Room – ★★★★
Jeremy Saulniers "Farbenlehre" geht weiter: Nach dem per Kickstarter finanzierten Thrillerdrama Blue Ruin (2013) präsentiert der 40-jährige "Jung"-Regisseur den menschlichen Horrorfilm Green Room, in dem eine erfolglose Punkband in einem Neonazi-Club in Oregon auftritt und danach im Backstage-Bereich – dem sogenannten "Green Room" – eine Leiche findet. In der Folge werden Pat (der im Sommer verstorbene Anton Yelchin), Sam (Alia Shawkat), Reece (Joe Cole) und Tiger (Callum Turner) vom lokalen Aryan-Brotherhood-Führer (Patrick Stewart) am Verlassen des Geländes gehindert, woraufhin das Quartett die Flucht plant.
Saulniers Stil ist noch körperlicher und dreckiger geworden seit Blue Ruin. Green Room ist eine brutale, blutige Angelegenheit, wodurch er die Klassifizierung als Horrorfilm wohl verdient hat. Doch wie ein David Robert Mitchell (It Follows) oder ein Dan Trachtenberg (10 Cloverfield Lane) beruft sich auch Saulnier auf die psychologische Tradition von John Carpenter. Sein Film lebt von seiner beklemmenden Atmosphäre, von den durchgehend nachvollziehbar und intelligent agierenden Figuren, von seinem straffen Spannungsbogen, von seinem minimalistischen Spiel mit dem Schauplatz, von seinem pointierten Blick in die Abgründe des amerikanischen Konservatismus. So geht Genrekino.