Sonntag, 20. November 2016

Kritik in Kürze: "Heart of a Dog", "Hell or High Water", "High-Rise"

Heart of a Dog – ★★★★★

Der experimentelle Essay-Dokumentarfilm der amerikanischen Avantgardistin Laurie Anderson verbindet tibetische Philosophie mit Gedanken über die US-Gesellschaft nach dem 11. September 2001 und den NSA-Skandal mit eigenen Kindheitserinnerungen. Als emotionales und thematisches Zentrum dient ihr ihre Beziehung zur Hündin Lolabelle, deren Tod die Produktion von Heart of a Dog inspirierte.

Anderson verflicht Animation mit Handyvideos und Naturaufnahmen und erzielt so, im Zusammenspiel mit der assoziativen Erzählstruktur, einen faszinierenden Effekt. Ähnlich wie Alexander Sokurovs Francofonia ist auch dieses Werk ein beeindruckender filmischer Gedankenspaziergang, in dem das Alltägliche innert weniger Augenblicke erst ins Weltpolitische, dann ins Spirituelle umschlagen kann. Man muss Andersons esoterisch-punkige Sicht auf die Welt nicht teilen, um anzuerkennen, mit welchem Tiefgang, welcher Ehrlichkeit, welcher Poesie sie sich hier von der Klavier spielenden, Gemälde malenden Lolabelle verabschiedet.



Hell or High Water – ★★★★

Dem ländlichen Westen von Texas geht es nicht gut. Das ist unübersehbar in David Mackenzies Kriminaldrama Hell or High Water, in dem zwei Brüder (Chris Pine, Ben Foster) eine Reihe von Banküberfällen begehen, um die Familienfarm zu retten, während ihnen Texas Ranger Hamilton (Jeff Bridges) dicht auf den Fersen ist. Am Rande der Highways werben Anwälte und Kredithaie, in jedem zweiten Vorgarten rostet ein Traktor vor sich hin, im Fernsehen versprechen Prediger den Leuten Seelenheil für Geld, die Indianer-Casinos im nahen Oklahoma sind zum Bersten voll von verzweifelten Glücksrittern.

Diese Bilder, die Mackenzie äusserst prominent in seine Handlung einbaut, mögen die wirtschaftliche Notlage in der amerikanischen Peripherie hie und da etwas gar plakativ veranschaulichen – fast werden unangenehme Erinnerungen an Andrew Dominiks Killing Them Softly wach –, doch ihren Zweck verfehlen sie letztlich dennoch nicht. Hell or High Water interpretiert auf intelligente Weise das klassische Western-Motiv der Jagd des aufrechten Gesetzeshüters auf die niederträchtigen Räuber um, indem sie in einen nuancierten Kontext gestellt wird. A Perfect World trifft auf No Country for Old Men, sozusagen.

Emotional getragen wird das Ganze von den hervorragend aufspielenden Chris Pine, Ben Foster, Jeff Bridges sowie Gil Birmingham in der Rolle von Hamiltons Ranger-Partner. Während Pine eine für sein Saubermann-Image erfrischend untypische Rolle spielt, empfiehlt sich der mühelos zwischen Humor und Melancholie pendelnde Bridges einmal mehr für die Oscarsaison.



High-Rise – ★★★

Obwohl Ben Wheatley (Down Terrace, Kill List, Sightseers) einer der spannendsten britischen Regisseure der Gegenwart ist, lässt sein erster rundum begeisternder Film noch immer auf sich warten. Einem grossartigen Film am nächsten kam er 2013 mit dem surrealistischen A Field in England über eine schicksalhafte Begegnung während des englischen Bürgerkriegs. In High-Rise wiederum, einer Verfilmung von J. G. Ballards gleichnamiger Romandystopie, entwickelt er zwar seine visuellen Qualitäten weiter, doch vorbehaltlose Euphorie vermag auch dieses Projekt nicht auszulösen.

Die parabelhafte Erzählung dreht sich um Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston), der sein Leben in einem hochmodernen Wolkenkratzer am Stadtrand Londons verbringt, entworfen von einem Stararchitekten (Jeremy Irons), der sich darum bemüht, alle Annehmlichkeiten des Lebens in einem Gebäude zu vereinen. In den unteren Etagen haust die Unterschicht, weiter oben feiern die Reichen und Schönen prunkvolle Feste. Laing und seine neuen Bekanntschaften werden allmählich in den gärenden Klassenkampf verwickelt. In der letzten Szene ist eine Rede Margaret Thatchers über den Segen des kapitalistischen Individualismus zu hören.

Was High-Rise an Subtilität fehlt – anders als etwa dem inhaltlich ähnlichen, ideologisch aber weitaus komplexeren Snowpiercer –, macht er auf der ästhetischen Ebene wett: Ausstattung und Bildgestaltung, inspiriert vom Kino und der Mode der graubraunen englischen Siebzigerjahre, geben dem Film jenes starke Profil, das die abgedroschene Gesellschaftskritik vermissen lässt. Auf Wheatleys ganz grossen Wurf muss also weiter gewartet werden.

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