Freitag, 27. Januar 2017

Hacksaw Ridge

Mel Gibson hat ein Problem. Seitdem der einstige Vorzeigestar durch rassistische und antisemitische Tiraden in Hollywood in Ungnade gefallen ist, scheint der Radikalkatholik um jeden Preis beweisen zu wollen, wie nahe am Herzen ihm Jesus Christus' Botschaft von Liebe und Frieden liegt. In Angriff nimmt er dieses Projekt, indem er als Regisseur Geschichten von Ikonen der christlichen Gewaltlosigkeit erzählt. Doch Filme wie The Passion of the Christ (2004) und der sechsfach oscarnominierte Hacksaw Ridge zeigen, dass ein friedlicher Protagonist allein nicht ausreicht.

Nachdem er in seiner Bibelverfilmung Jesus auf einen äusserst blutigen Leidensweg geschickt hat, nimmt sich Gibson hier des gläubigen Adventisten Desmond Doss (Andrew Garfield) an, der sich im Zweiten Weltkrieg das Recht erstritt, aus religiösen Gründen ohne Waffe in den Kampf zu ziehen.

Was angesichts von Gibsons Überzeugung, dass das Paradies nur Mitgliedern der katholischen Kirche offen steht, ein wenig überrascht, ist, dass dieser christliche Kern das stärkste Element im faktenbasierten Hacksaw Ridge ist. Im Sanitäter Desmond, der versuchen will, "eine sich selbst zerstörende Welt wieder ein bisschen zusammen zu flicken", findet der Film ein erhebendes Beispiel positiver, vorurteilsloser Religiosität, ein Stück standhaften Pazifismus in der Hölle eines insgesamt gerecht wirkenden Krieges. Diese Auseinandersetzung geht zwar weit weniger tief als etwa in Maria Schraders Vor der Morgenröte, formuliert aber eine durchaus wertvolle Grundaussage.

Hier kommt jedoch die fundamentale Problematik von Gibsons Kino ins Spiel. Denn wie schon The Passion of the Christ zeichnet sich auch Hacksaw Ridge primär durch eine stellenweise schwer verdauliche Blutrünstigkeit aus. Zerfetzte Gliedmassen, klaffende Schusswunden, brennende Körper, verstreute Innereien, explodierende Schädel – das alles dominiert die zweite Hälfte dieses Films, die selbst einen Saving Private Ryan (1998) punkto Inszenierung von Kriegsschrecken in den Schatten stellt.

Der Pazifist Desmond Doss (Andrew Garfield) zieht ohne Gewehr in den Zweiten Weltkrieg.
© Impuls Pictures AG
An der Oberfläche wird so ein erschütternder Kontrast zwischen dem friedliebenden Desmond und dem Krieg, in den er freiwillig zieht, hergestellt. Verkauft wird einem das als schockierender Antikriegsfilm. Doch diese Rechnung geht nicht auf, und das hat vorab mit Gibsons Inszenierung zu tun.

Die unmenschliche Gewalt des Zweiten Weltkriegs in blutigem Detail darzustellen, muss nicht automatisch ein Zelebrieren sein – das weiss man dank Spielbergs Private Ryan, Eastwoods Letters from Iwo Jima (2006) und Ayers Fury (2014). Hacksaw Ridge aber geht den berühmten Schritt zu weit. Es ist schwer, die Fassade christlicher Nächstenliebe für bare Münze zu nehmen, wenn man Desmonds Kameraden in extremer Zeitlupe dabei zusieht, wie sie einen Japaner nach dem anderen niedermähen, wie sie nicht weniger als dreimal durch den Einsatz eines Flammenwerfers gerettet werden, wenn ein GI den durchschossenen und verstümmelten Körper eines gefallenen Soldaten als Schild benutzt.

Dass die Schlacht um Okinawa grossartig inszeniert ist – anders als das ungelenke Liebesgeplänkel zwischen Desmond und seiner späteren Ehefrau Dorothy (Teresa Palmer) im ersten Akt –, steht ausser Frage. Die Explosionen, das Gewehrfeuer, die Schreie sind ohrenbetäubend, das Höllenchaos stilistisch perfekt; manche Einzelschicksale, wie etwa jenes von Sergeant Howell (Vince Vaughn – allzu bemüht um Oscar-Aufmerksamkeit buhlend), lösen stimmig Konflikte auf, die während der stellenweise ganz amüsanten Trainingssequenzen in Gang gesetzt werden.

Auf Okinawa lernt Desmonds Trupp, angeführt von Sergeant Howell (Vince Vaughn, 2. v. l.), die Schrecken des Krieges kennen.
© Impuls Pictures AG
Doch letztendlich bleibt in Hacksaw Ridge vieles Stückwerk. Desmonds Beziehung zu seinem kriegsversehrten, alkoholkranken Vater (Hugo Weaving) lässt Subtilität ebenso vermissen wie sein ungeschicktes Werben um Dorothy. Die abrupten Tonfallwechsel innerhalb einzelner Sequenzen brechen immer wieder den Erzählfluss. Der Versuch, das Gemetzel auf Okinawa durch ein halbes Dutzend grob skizzierter Nebenfiguren emotional aufzuwerten, funktioniert lediglich in Ansätzen.

Obwohl der Film besser ist als Braveheart und The Passion of the Christ, kann er sich dem Vorwurf der Heuchelei nur schwer entziehen. Filmemacherisch hat Gibson nun einmal eine sadistische Ader – das ist legitim, und die soll er auch ausleben dürfen. Doch dieser Impuls lässt sich schlicht nicht harmonisch mit Projekten vereinen, die vorgeben, für christliche Barmherzigkeit einzustehen. Hacksaw Ridge ist die Geschichte eines Regisseurs, der an seinen eigenen widersprüchlichen Instinkten zerbricht.

★★

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