Die Rolle des Kritiker-Lieblings scheint Regisseur Darren Aronofsky nur bedingt gefallen zu haben. Zuerst liess er auf die mit Oscarnominationen überhäuften The Wrestler (2008) und Black Swan (2010) den konfusen – aber nicht uninteressanten – Bibel-Blockbuster Noah (2014) folgen; und jetzt hat er mit mother! ein eigensinniges Horrordrama gedreht, das die Publikumsmeinung scheidet wie kaum eine andere Produktion in diesem Jahr.
Das ist denn auch einer der vielen Aspekte, die den neuen Film des Kult-Regisseurs von Pi (1998) und Requiem for a Dream (2000) zu einem derart faszinierenden Erlebnis machen. Selbst wenn man von mother! begeistert ist, wird man den Hass verstehen, den gewisse Zuschauer ihm gegenüber empfinden. Und auch in seinem sechsten Werk ist es Aronofsky noch nicht gelungen, sich von seinen bisweilen frustrierenden erzählerischen Ticks zu lösen.
Aber der Reihe nach. mother! handelt von zwei Personen: einem namenlosen Autoren (Javier Bardem) mit Schreibblockade und dessen gut 20 Jahre jüngeren Ehefrau (Jennifer Lawrence). Die beiden leben zurückgezogen in einem wunderschönen alten Haus im Grünen. Während er vergebens versucht, ein neues Werk zu Papier zu bringen, richtet sie ihr Zuhause her, das immer noch die Spuren eines grossen Brandes trägt.
Doch das Idyll wird durch die Ankunft eines Neurologen (Ed Harris) gestört, der sich sogleich häuslich einzurichten beginnt. Bald darauf folgt seine Frau (eine hervorragende Michelle Pfeiffer). Dann tauchen plötzlich deren zerstrittene Söhne (Brian und Domhnall Gleeson) auf. Es dauert nicht lange, bis das von Jennifer Lawrences Figur so schön ausgestattete Haus von respektlosen Menschen überflutet ist, die, trotz ihrer Unhöflichkeit, von "Ihm" – der Abspann identifiziert Bardem als "Him" – mit offenen Armen empfangen werden.
Eine Frau (Jennifer Lawrence) renoviert ein Haus im Nirgendwo. © Paramount Pictures |
Hat man sich mit diesen letztlich dennoch ziemlich nüchtern erzählten 70, 80 Minuten arrangiert, wechselt Aronofsky – ganz der notorische Provokateur – abrupt die Gangart. Auf eine geborstene Wasserleitung, welche die ungebetenen Besucher in die Flucht schlägt, und eine Sexszene hart an der Grenze zur Vergewaltigung folgt eine Schwangerschaft für Lawrence, ein neues Werk für Bardem und eine neuerliche Belagerung ihres trauten Heims. Doch diese artet auf eine Weise aus, die das fröhliche Trinken und Feiern aus dem ersten Teil in allen Belangen in den Schatten stellt. Angetrieben von Bardems Verlegerin (Kristen Wiig), wird das Haus zum Schauplatz eines regelrechten Personenkults. Es folgen Konflikte, es bilden sich Fraktionen; bald schon wird das einst so paradiesische Refugium zu einem barbarischen Schlachtfeld.
Aber irgendetwas ist seltsam in diesem Haus. © Paramount Pictures |
Allzu überraschend ist das angesichts seiner Filmografie nicht. Viele seiner Filme "verstecken" ihren Symbolismus im Vordergrund: Der unterbewertete The Fountain (2006) etwa spielt mit Reinkarnationsmotiven, handelt aber vordergründig von der kreativen Macht des Schriftstellers. Noah lässt sich problemlos als postapokalyptische Dystopie lesen. Und obschon Black Swan ein ziemlich konventionelles Wahnsinns-Narrativ verfolgt, scheint seine Bildsprache getränkt von Einstellungen, welche die abstrakteren Dialogzeilen der Figuren unmissverständlich zu erklären versuchen.
Indem er seine anfängliche Offenheit aufgibt, fügt sich mother! nahtlos in diese Reihe ein und drängt einem seine Interpretation geradezu auf. Kurzum: Aronofsky hat nichts weniger gemacht als die Bibel verfilmt und ihr dabei ein Stück esoterischen Feminismus hinzugefügt. Und die Adaption ist nicht einmal besonders subtil.
Plötzlich tauchen von allen Seiten unbekannte Besucher auf – wie etwa ein aufdringliches Ehepaar (Michelle Pfeiffer, Ed Harris). © Paramount Pictures |
Auch als der Tonfall umschlägt, bleibt Aronofsky dem Buch der Bücher treu. Bardems grosses neues Werk, dessen Erfolg den schrecklichen Krieg in seinem Haus heraufbeschwört, wurde inspiriert – also quasi unbefleckt geboren – durch Lawrences "Mother". Somit wird Jesus hier zum reinen messianischen Text, dessen ebenso erlöserisches wie apokalyptisches Versprechen erst durch seine Wiederkunft erfüllt wird – und zwar in Form des Sohnes, den Mother ihrem Ehemann gebiert.
Der Besuch stört den Eheman von Jennifer Lawrence' Figur, den grossen Poeten (Javier Bardem), nicht. © Paramount Pictures |
Folgerichtig ist die Welt – das Haus –, wie wir sie in der letzten halben Stunde sehen, wie bereits in Noah, ein elendes Jammertal. Ein Meer von Menschen, die im Abspann allesamt allegorische Namen wie Adulterer (Chris Gartin), Lingerer (Arthur Holden), Pilferer (Carolyn Fe) und Whoremonger (Genti Bejko) erhalten, lobpreist Bardem, betet seine Abbilder an, während Lawrence nur Hohn, Spott, Schläge und Tritte kassiert.
Entweder die Welt wird wahnsinnig oder die Titel gebende Mutter. © Paramount Pictures |
Man muss diese wuchtige Allegorie nicht gut finden. Jede Kritik, die argumentiert, dass der dritte Akt das Potenzial der ersten beiden – grandios in ihrer durch Bild- und Tongestaltung sorgfältig konstruierten Atmosphäre des Unbehagens – verschenkt, ist nachvollziehbar. Doch obwohl sich die zahlreichen Schichten dieses Films schliesslich mehr oder weniger in eine einzige zusammenfalten lassen, regt das ganze Konstrukt dennoch zum intensiven Nachdenken über all seine Elemente und Ansätze an. Aronofsky ringt hier mit den ganz grossen Gedanken, die ihn auch in Noah umtrieben, hat mit mother! aber ein deutlich geeigneteres Vehikel gefunden, sich mit ihnen zu befassen. Das Resultat ist wirr, unbequem, manchmal frustrierend – und grosses Kino.
★★★★★
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