Montag, 30. Oktober 2017

Kritik in Kürze: "Baby Driver", "Dunkirk", "Get Out"

Baby Driver – ★★★★★

Dass der Brite Edgar Wright (Shaun of the Dead, Hot Fuzz) ein besonderes Händchen für rhythmische Inszenierungen hat, hat er in seinem bisherigen Meisterwerk, der atemlosen Comicadaption Scott Pilgrim vs. the World (2010), eindrücklich bewiesen. Ein Ausflug ins Musicalfach war – angesichts von Szenen wie dem holografischen Bandduell in Scott Pilgrim – eigentlich nur eine Frage der Zeit. Doch der Gangsterfilm Baby Driver ist ein Musical mit einem Twist: Hier wird kaum gesungen – hier wird gehört.

Seit dem Unfall, bei dem seine Eltern gestorben sind, leidet der Titel gebende Baby (Ansel Elgort) an Tinnitus. Um den Pfeifton auszublenden, hört er unentwegt Musik auf seinen geliebten iPods. Sein Geld verdient er als Fluchtfahrer in Diensten des mächtigen Doc (Kevin Spacey); doch als er die schlagfertige Kellnerin Debora (Lily James) kennen lernt, beginnt er, sich nach einem Leben in der Legalität zu sehnen.

Baby Driver erzählt keine sonderlich innovative Geschichte – die wohl unabsichtliche Darstellung weisser Privilegien in der amerikanischen Strafverfolgung dürfte zwar für einige erhobene Augenbrauen sorgen –, doch in Sachen Inszenierung können ihm in diesem Jahr nur wenige andere Filme das Wasser reichen. Wright zieht alle Register und komponiert ganze Sequenzen den Songs entsprechend, die sich auf Babys eklektischer Playlist befinden: So entlockt er Tracks wie Barry Whites "Never, Never Gonna Give Ya Up" oder Queens "Brighton Rock" ganz neue Intensität. Wenn Motoren parallel zu Gitarrenriffs aufheulen und bei Schiessereien im Takt geschossen wird, zeigt sich, wie immersiv und mitreissend Action wirklich sein kann.



Dunkirk – ★★★★

Im Juni 1940 kam es im nordfranzösischen Dunkerque zu einer der denkwürdigsten militärischen Rettungsaktionen aller Zeiten. Hunderttausende alliierte Soldaten wurden von Hitlers Wehrmacht an den Strand gedrängt, wo sie den Angriffen deutscher Bomber schutzlos ausgeliefert waren. Doch einer Allianz aus Schlachtschiffen und zivilen Booten gelang es, insgesamt mehr als 300'000 Soldaten ins sichere England zu bringen.

Diese Episode wurde in Grossbritannien zu einem Mythos. Diesem erweist Christopher Nolan in Dunkirk seine Reverenz. Zum ersten Mal seit dem Kriminalthriller Insomnia (2002) verzichtet der britische Starregisseur (Memento, The Dark Knight, Inception) vollständig auf Science-Fiction-Elemente. Stattdessen liegt sein Fokus auf schonungslosem Realismus, veredelt durch atemberaubende Filmtechnik – und "nolanifiziert" durch drei einander überschneidende Zeit- und Raumebenen.

Der Film beleuchtet eine Woche in der belagerten Hafenmole von Dunkerque, einen Tag auf einem zivilen Boot und eine Stunde in einem englischen Jagdflugzeug. Bekannte Schauspieler wie Tom Hardy, Mark Rylance, Kenneth Branagh und Cillian Murphy spielen überwiegend anonyme Rollen – Figuren in einer Geschichte, die, so die Implikation, grösser und bedeutsamer ist als die Einzelschicksale ihrer scheinbar willkürlich ausgewählten Protagonisten. So bringt sich Dunkirk zwar um emotionale Schlagkraft, vertieft aber den Eindruck, dass der Krieg alle Beteiligten zu letztlich hilflosen Komparsen macht.

Diesen starken Subtext – vielleicht den potentesten seiner Filmografie – kombiniert Nolan mit Hoyte van Hoytemas grossartiger Kameraarbeit sowie einer Tonspur, die dem Rattern von Flugzeugmotoren und dem Pfeifen von fallenden Bomben mehr Bedeutung beizumessen scheint als den vereinzelten Dialogen der Charaktere – und Dunkirk zu einem viszeralen Erlebnis macht.



Get Out – ★★★★★

Bevor er sich Anfang Jahr als aufregende neue Stimme im amerikanischen Genrekino erwies, war Jordan Peele vor allem als Mitglied des Comedy-Duos Key & Peele bekannt. Zu dessen beliebtesten Nummern zählte Keegan-Michael Keys "Anger Translator", der neben einem seelenruhigen Barack Obama (Peele) schäumend in Worte fasste, was im Innern des 44. US-Präsidenten vor sich ging. Doch nun ist Obama nicht mehr Präsident; er wurde ersetzt von den Kräften, gegen die sich Keys Tiraden jeweils richteten. Die Satire muss sich den Zeiten anpassen – und genau das tut Peele in seinem Regiedebüt, der düsteren Horrorkomödie Get Out.

Es ist eine vertrackte, sardonische Variation auf Stanley Kramers Rom-Com-Klassiker Guess Who's Coming to Dinner (1967), in der sich der junge Chris (Daniel Kaluuya) in der Sidney-Poitier-Rolle wiederfindet: Zwar wird er beim Besuch der Eltern seiner weissen Freundin Rose (Allison Williams) mit offenen Armen empfangen, doch unter der überschwänglichen Gastfreundschaft von Dean (Bradley Whitford) und Missy (Catherine Keener) verbergen sich die tiefen Abgründe, von denen unzählige Menschen, Amerikaner wie Europäer, annehmen, sie wären im Zuge von Martin Luther King und Guess Who's Coming to Dinner geschlossen worden.

Peeles ambitionierter Erstling verhandelt mit perzeptivem Humor, einer unübersehbaren Liebe zu Science-Fiction- und Horrorklassikern – von Night of the Living Dead (1968) bis Funny Games (1997) – sowie subversiver Schärfe die rassistischen Mechanismen, die in der amerikanischen Gesellschaft herrschen. Get Out ist in gewisser Hinsicht ein Begleitwerk zu den Texten von Ta-Nehisi Coates (Between the World and Me, "My President Was Black", "The First White President") über das weisse Amerika, dessen soziale, kulturelle und politische Hegemonie auf der anhaltenden Ausbeutung schwarzer Körper fusst. Die wichtige Mahnung, dass sich Rassismus nicht auf Ku-Klux-Klan-Märsche und N-Wort-Beschimpfungen reduzieren lässt, sondern dass Rassismus ein komplexes System ist, von dem auch selbsternannte Liberale profitieren, hat endlich ihren Weg ins Mainstream-Kino gefunden.

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