Vor diesem Hintergrund wirkt es beinahe albern, Noé so etwas wie Altersmilde attestieren zu wollen; und doch schlägt sein neuestes Werk, der psychedelische Musik-Horrorfilm Climax – verglichen mit seinen Vorgängern Seul contre tous (1998), Irréversible (2002), Enter the Void (2009) und Love (2015) –, ungewohnt freudige, bisweilen sogar sanfte Töne an.
Der Film spielt 1996 in einem alten Internatsgebäude irgendwo in Frankreich. Während draussen ein Schneesturm tobt, feiert im Innern eine moderne Tanztruppe das Ende eines Probewochenendes kurz vor dem Aufbruch zu einer US-Tournee. Doch schon bald verkommt die feuchtfröhliche Party zu einem regelrechten Höllentrip: Jemand hat Drogen unter die Sangría gemischt, woraufhin alle Tänzerinnen und Tänzer nach und nach auf ihre eigene Weise die Kontrolle verlieren.
Doch auch ohne den rabenschwarzen Pessimismus eines Irréversible – berüchtigt für seine neunminütige, ungeschnittene Vergewaltigungsszene – ist Climax nichts für schwache Nerven. Schon in der ersten längeren Szene – einer Reihe von aufgezeichneten Interviews, in denen die Mitglieder der Gruppe über ihre Beziehung zum Tanzen sprechen – legt Noé offen, in welcher Tradition er hier arbeitet, welche Themen ihn umtreiben. Zu sehen sind die Gespräche auf einem Fernseher, flankiert von Büchern über Drogen, Selbstmord und menschliche Augen, sowie von Videokassetten einschlägiger radikaler Kinoklassiker, von Andrzej Żuławskis Possession (1981) über Dario Argentos Suspiria (1977) bis hin zu Pier Paolo Pasolinis Salò (1975).
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Fest steht, dass Climax auch ohne soziopolitischen Subtext ein fulminantes Kinoerlebnis ist. Die langen, ausgeklügelt inszenierten Einstellungen, in denen sich die Kamera von Benoît Debie (Irréversible, Spring Breakers) durch schummrig beleuchtete Korridore und grell geschmückte Nebenzimmer voller berauschter Tänzer schlängelt, sind schlichtweg brillant; derweil die Szenen, in welchen zum permanenten Soundtrack tatsächlich getanzt wird, mitreissende Liebeserklärungen an die moderne Choreografiekunst sind. (Tänze aus der Vogelperspektive sind ein faszinierender Anblick.) Und inmitten dieses visuell brillanten Horrortrips findet Noé wider jeglicher Erwartung Momente der Schönheit, der Kameradschaft und der zwischenmenschlichen Zärtlichkeit: Für einmal hält die Menschlichkeit dem blutigen Verderben stand.
★★★★
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