Fyre – ★★★
Ein selten hervorgehobener, aber keineswegs unerheblicher Faktor in der anhaltenden Diskussion über die wirtschaftlichen und künstlerischen Effekte, welche die Streaming-Plattform Netflix auf das Kino hat, ist, wie sich in den letzten vier, fünf Jahren unter ihrem Einfluss die Dokumentarfilm-Landschaft verändert hat. Abseits der grossen Kontroversen – vom internationalen Kinostartverzicht von Annihilation bis zur umstrittenen Oscarkampagne von Roma – hat sich der einstige DVD-Lieferservice nämlich zum vielleicht mächtigsten Vertrieb von "traditionellen" Dokumentationen gemausert.
Diese Produktionen, darunter Oscarkandidaten und -gewinner wie Virunga (2014), What Happened, Miss Simone? (2015) und Icarus (2017), folgen oft unspektakulären Erzählmustern und sind in erster Linie darauf bedacht, Biografien und bemerkenswerte Ereignisse informativ zusammenzufassen und bekömmlich zu präsentieren. Es scheint, als hätte Netflix das klassische Nachmittagsfernsehen assimiliert.
Das Format ist wie gemacht für eine Aufarbeitung des filmreif gescheiterten Fyre Festivals – einem Musik- und Lifestyle-Event, der im Frühling 2017 Hunderte von Internet-Influencern und gut betuchten jungen Menschen mit dem Versprechen eines luxuriösen Wochenendes auf eine bahamische Insel lockte, letztlich aber nur mit Notunterkünften, Trockenbrot und Wasserknappheit aufwartete.
Chris Smiths Fyre zeigt auf, wie es dazu kommen konnte: wie der windige Unternehmer Billy McFarland mit seinem grossspurigen Auftreten über Monate hinweg Investoren bezirzte, den Rapper Ja Rule als Mitorganisator gewinnen konnte, Geld verschleuderte, vom Pech verfolgt war und schliesslich hilf-, aber ganz und gar nicht schuldlos, mitansehen musste, wie das ganze Kartenhaus in sich zusammen fiel.
Es ist eine gute Übersicht über ein unglaubliches Spektakel menschlichen Hochmuts, das dank seines sehr spezifischen Opfer- und Täterprofils – reiche Internet-Yuppies kriechen reicheren Internet-Yuppies auf den Leim – zu einem Meilenstein in der langen Geschichte der viralen Schadenfreude geworden ist. Damit lässt es Fyre aber auch bewenden. Auf eine Auseinandersetzung mit Cyberkapitalismus oder der neokolonialen Selbstverständlichkeit, mit der die bahamische Bevölkerung für das Fyre-Projekt eingespannt wurde, wird verzichtet, was zwar die Relevanz, nicht aber den Unterhaltungswert des Films schmälert.
High Flying Bird – ★★★★
Schon zum zweiten Mal seit seinem abgebrochenen Kino-Ruhestand greift Steven Soderbergh (Ocean's Eleven, Magic Mike, Logan Lucky) zum Handy: Nach dem Horrorfilm Unsane (2018) hat der Regisseur, Kameramann und Cutter nun auch das Sportdrama High Flying Bird auf einem iPhone gedreht.
Visuell macht der Film da weiter, wo andere iPhone-Produktionen – etwa Sean Bakers Tangerine (2015) – aufgehört haben: scharfe Kanten, tiefe Schatten, satte Farben – sofern der Schauplatz es erlaubt.
Denn High Flying Bird spielt in der bläulich-grauen Glas- und Stahlwüste Manhattan, wo die NBA-Teppichetage während einer Aussperrung über die Zukunft des amerikanischen Profi-Basketballs berät, derweil ein ambitionierter Spieleragent (André Holland) mithilfe seines Rookie-Schützlings (Melvin Gregg) die Blockade zwischen Spielern und Clubbossen auflösen will.
Mit seiner hintersinnigen Geschichte, die wohl jedes Publikum, das nicht mit den wirtschaftlichen und politischen Feinheiten des US-Profisports vertraut ist, vor eine Herausforderung stellen wird, versucht sich Tarell Alvin McCraney, der oscarprämierte Dramatiker und Drehbuchautor hinter Moonlight (2016), in High Flying Bird an so etwas wie einer Coverversion von Aaron Sorkin. Seine dichten, stets mitreissenden, wenn auch nicht immer gänzlich durchschaubaren Dialoge zwischen hoch spezialisierten Ränkeschmieden erinnern stark an Sorkins Wortschlachten in The Social Network (2010) und Moneyball (2011).
Zusammen ergeben Soderberghs kühle iPhone-Ästhetik und McCraneys messerscharfes Skript einen wohl allzu technokratischen Film, dem die nötige dramatische Fallhöhe fehlt, um restlos zu begeistern. Dennoch fällt es schwer, von der Qualität des Handwerks in High Flying Bird nicht beeindruckt zu sein. Das Kino kann nur profitieren, wenn Soderbergh zu seinem alten Schaffensdrang zurückfindet.
The Sisters Brothers – ★★★
Für sein englischsprachiges Debüt hat sich der französische Palme-d'or-Gewinner Jacques Audiard (Un prophète, Dheepan) viel vorgenommen: Auf den blutigen Spuren des Italowestern-Meisters Sergio Corbucci (Django, Il grande silenzio) führt er in The Sisters Brothers, einer Adaption des gleichnamigen Romans von Patrick deWitt, das Konzept der Western-Romantik ad absurdum.
Er ist nicht der Erste. Nicht nur Komödien wie Burt Kennedys Support Your Local Sheriff! (1969), Mel Brooks' Blazing Saddles (1974) und zuletzt Seth MacFarlanes A Million Ways to Die in the West (2014) haben es sich zur Aufgabe gemacht, das altehrwürdige Genre mit seinem oft idealisierten Vergangenheitsbild zu dekonstruieren – derartige Selbstkritik liegt dem Western mindestens seit John Fords The Man Who Shot Liberty Valance (1962), dem letzten Meisterwerk des grössten Western-Regisseurs aller Zeiten, im Blut.
Entsprechend wirkt an der Geschichte der Brüder Eli und Charlie Sisters (John C. Reilly, Joaquin Phoenix), die um 1850 im amerikanischen Westen als Auftragskiller unterwegs sind, wenig neu. Ihre Jagd auf einen Tüftler (Riz Ahmed) und dessen Geschäftspartner (Jake Gyllenhaal) ist ein betont unangenehmes Unterfangen – gezeichnet von Eiseskälte, Spinnenbissen und Infektionen –, das sich ansonsten aber kaum von einem typischen Verfolgungswestern unterscheidet.
Als solcher ist The Sisters Brothers passabel, aber nur selten eindrücklich – auch weil Audiards Bildsprache frustrierend inkonsequent ist. John C. Reilly und Joaquin Phoenix hingegen glänzen, ebenso das hervorragende Ende – quasi eine Umkehr des klassischen Schlussbildes von Fords The Searchers (1956) –, das eine thematische Tiefe suggeriert, die das Vorangegangene niemals erreicht.
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