Dienstag, 30. April 2019

Ash Is Purest White

© Filmcoopi

★★★★★

"Doch Jias China 'contains multitudes' – und somit ist der Gangster-Ansatz nur ein Versatzstück in einem herausragend inszenierten Film, der im weiteren Verlauf noch zum romantischen Melodram im Stile von In the Mood for Love (2000) und Cold War (2018), zum Sozialdrama und sogar kurz zum Science-Fiction-Abenteuer mutiert. Es ist eine Reise durch ein Land auf der Suche nach sich selbst."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Sonntag, 28. April 2019

Nach dem Sturm

Während 1968 die grossen Metropolen Europas – und sogar die Schweizer "Grossstadt" Zürich – von Studentenprotesten und Jugendkrawallen aufgemischt wurden, blieb es im Herzen der Schweiz, in den katholisch-konservativen Kantonen Luzern, Zug, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden charakteristisch ruhig. Hier herrschten Tradition und Gutbürgerlichkeit; nach Aufstand, so die weit verbreitete Annahme, stand hier niemandem der Sinn.

Umso grösser die Konsternation, als diese Unschuld in einer kalten Januarnacht 1969 verloren ging. Der Tod eines jungen Häftlings auf dem Polizeiposten der Stadt Luzern rief einige hundert Demonstranten auf den Plan, welche die Wache stundenlang einkreisten und mit Steinen und Eisklumpen bewarfen. Beendet wurde der medial landesweit ausgeschlachtete Krawall mithilfe von Wasserwerfern – bemannt von FDP-Stadtpräsident Hans Rudolf "HRM" Meyer höchstpersönlich, der in der Folge harte Worte für die "langhaarigen, halbstarken" Unruhestifter fand: "Bemitleidenswert" seien sie, ein trauriger, verwahrloster Haufen ohne erkennbaren Lebensinhalt, der die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen sollte.

Dieses Ereignis, so die These des Dokumentarfilms Nach dem Sturm von Beat Bieri und Jörg Huwyler, markiert den Anfang der Innerschweizer 68er-Bewegung, die es mit einem Jahr Verspätung dann doch noch in die Provinz schaffte. Spröde didaktische Texttafeln kündigen zu Beginn an, worauf man sich gefasst machen soll: einen Kunstskandal im nidwaldnerischen Stans, einen Armeegegner im militärindustriellen Kanton Uri, einen intellektuellen Aderlass in den Klosterschulen von Einsiedeln und Engelberg.

In ambitionierten zwei Stunden bemühen sich Bieri und Huwyler um einen Panoramablick dieser Zentralschweizer Zeitenwende, deren Einfluss weit über das Schicksalsjahr 1969 hinausgehen sollte. Tatsächlich dient den beiden Veteranen des Schweizer Fernsehens dieses Datum vor allem als Ausgangspunkt für die Biografien, an denen sie ihre Erzählung aufhängen.

Im Januar 1969 schockiert ein Krawall vor der städtischen Polizeiwache das ruhige Luzern.
© Mythenfilm
Es war das Jahr, in dem Otti Frey zum flächendeckend fichierten Wortführer der Luzerner Linken aufstieg, die gerade im Laufe der Siebzigerjahre grossflächig zu agitieren versuchte und so – mit leninistisch-maoistischem Sturm und Drang – konstruktiveren progressiven Kräften den Weg ebnete. 1969 war auch das Jahr des politischen Erwachens von Reto Gamma, dessen Zeitschrift, die Alternative, jahrzehntelang ein wichtiger Teil der Urner Medienlandschaft wurde; derweil avantgardistische Ausstellungen und eine aufkeimende Musikszene den Grundstein für die Kulturregion Zentralschweiz legten.

Doch obwohl Nach dem Sturm letztlich zum Schluss kommt, dass diese Unruhen zu einer freieren, offeneren Gesellschaft geführt haben, interessieren sich die Regisseure nicht für 68er-Nostalgie. Es ist ihnen hoch anzurechnen, wie nuanciert sie die Rolle des "Establishments" interpretieren – von den zwei Luzerner Polizisten, die sich im Zuge einer antiterroristischen Mission von traditionalistischer Engstirnigkeit abwenden, bis hin zum einstigen Revoluzzer Thomas Trüb, der sich heute als "menschlicher Kapitalist" im Sinne François Mitterands versteht.

Auch Otti Frey, einstiger Wortführer der Luzerner Linken, äussert sich in Nach dem Sturm.
© Mythenfilm
Es lässt sich darüber diskutieren, ob Bieri und Huwyler allen Themen, die sie hier anreissen, gerecht werden, liesse sich doch über jeden der sechs porträtierten Kantone mindestens eine einstündige Dokumentation anfertigen. Entsprechend würde man sich hie und da etwas mehr Tiefe, etwas besser ausgearbeitete Zusammenhänge wünschen, während die Ausflüge in den Andermatter Zweitweltkriegsbunker oder das Seelisberger Zentrum für Transzendentale Meditation wie vernachlässigbare Schnörkel wirken.

Und dennoch ist anzuerkennen, dass Nach dem Sturm einen wichtigen Schritt in der Aufarbeitung der Schweizer 68er-Bewegung darstellt. Nach Jahren des gefühlten Zürcher Monopols legen Bieri und Huwyler hier, untermauert von einer ungeahnten, ja begeisternden Fülle an Archivmaterial, ein beeindruckendes, immer wieder überraschendes Sittengemälde vor, das einen mit dem Gefühl hinterlässt, die Schweiz ein wenig besser zu verstehen als zuvor.

★★★★

Freitag, 26. April 2019

Avengers: Endgame

© Marvel Studios

★★★★

"Drei Stunden dauert der überraschend introspektive, streckenweise ungewohnt stille Mega-Blockbuster, in dem das Regie-Brüderpaar Anthony und Joe Russo emotional aus dem Vollen schöpft: Endgame nimmt sich Zeit, um zu zeigen, wie Thanos' Tat die Figuren, deren Entwicklung man jahre- und filmelang beiwohnen konnte, bis ins Innerste erschüttert hat. Das gelingt nicht überall gleich gut – gerade mit Thor hätte das Drehbuch etwas sensibler umgehen können –, doch trotzdem ist Endgame, abgesehen von James Gunns MCU-Highlight Guardians of the Galaxy Vol. 2 (2017), der wohl berührendste Film, den die Franchise bislang gesehen hat."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Samstag, 20. April 2019

Dumbo

2019 dürfte das Jahr sein, in dem die Probephase des "Disney-Live-Action-Remake"-Phänomens endgültig zu Ende geht und sich das umstrittene Format als jüngster Eckpfeiler der modernen Blockbuster-Unterhaltung erweist.

Bislang hatte Disney das nicht nötig: Der Riesenkonzern konnte mit dem "Marvel Cinematic Universe" und der aktuellen Weiterführung der Star Wars-Reihe Jahr um Jahr auf Einnahmen im zehnstelligen Bereich zählen. Doch die Marvel-Superhelden erreichen diesen Frühling im heiss erwarteten Avengers: Endgame wohl ihren Zenit – ein historischer Kinokassenrekord gilt als möglich –, während die insgesamt dritte Star Wars-Trilogie im Dezember ein Ende finden wird. Den ersten Trailer dafür gab es unlängst zu bewundern.

Doch während diese beiden Mega-Franchisen das Kinogeschehen dominierten, gewöhnte Disney das Publikum gleichzeitig an eine Welt, in der es in schöner Regelmässigkeit mit Spielfilm-Neuauflagen animierter Klassiker versorgt wird. 2015 kam Kenneth Branaghs Cinderella in die Kinos, 2016 Jon Favreaus The Jungle Book, 2017 Bill Condons Beauty and the Beast; in Maleficent (2014) und Christopher Robin (2018) wurden Sleeping Beauty (1959) respektive Disneys Winnie the Pooh-Filme weitergesponnen.

Diese Frequenz wird nun drastisch erhöht: Bis zum Jahresende stehen vier solcher Remakes auf dem Programm, drei davon – darunter Guy Ritchies Aladdin und Jon Favreaus The Lion King – im Kino, einer davon, The Lady and the Tramp, auf der brandneuen Disney-Streaming-Plattform Disney+. Den Anfang macht aber Dumbo, in dem sich Kult-Regisseur Tim Burton an einer Neuinterpretation des gleichnamigen Films aus dem Jahr 1941 über den titelgebenden fliegenden Babyelefanten versucht.

Burtons letzter grossartiger Realspielfilm liegt 16 Jahre zurück. Sein Ruf, der auf atmosphärisch-exzentrischen American Gothics wie Batman (1989) und Edward Scissorhands (1990) fusst, ist nach kritischen Flops wie Alice in Wonderland (2010) und Dark Shadows (2012) arg angekratzt. Wer etwas auf Burton hält, sehnt sich schon lange nach einem vorbehaltlosen Befreiungsschlag.

Kriegsveteran und Zirkusartist Holt (Colin Farrell) und seine beiden Kinder (Finley Hobbins, Nico Parker) helfen dem fliegenden Babyelefanten Dumbo, manegebereit zu sein.
© Disney
Ausgerechnet Dumbo – einer Studio-Auftragsarbeit par excellence – mit dieser Erwartungshaltung zu begegnen, wäre vermessen. Doch leider wird hier sogar die bescheidene Hoffnung enttäuscht, ein halbwegs kompetent inszeniertes, trotz aller Seelenlosigkeit einigermassen unterhaltsames Disney-Remake im Stile von Favreaus Jungle Book vorgelegt zu bekommen.

Burtons Dumbo erweitert die simple Geschichte des Originals – Zirkuselefant lernt fliegen – zu einer bizarren Fabel über einen verwitweten Erstweltkriegsveteranen (Colin Farrell), der sich mit seinen Kindern (Finley Hobbins und Nico Parker) darum bemüht, aus dem kleinen Elefanten Dumbo, der mithilfe seiner überdimensionalen Ohren fliegen kann, eine Attraktion für den Zirkus von Max Medici (Danny DeVito – das Highlight des Films) zu machen. Doch der Erfolg lockt ausbeuterische Gier an – und zwar in Form des Unterhaltungsmagnaten V. A. Vandevere (Michael Keaton).

Dumbo macht von sich reden.
© Disney
Man kann Burton nur bedingt dafür verantwortlich machen, dass in diesem Film so gut wie nichts funktioniert. Denn abgesehen vom anregenden Design von Vandeveres Vergnügungspark – der kuriosen Antwort auf die Frage, wie das Disneyland wohl aussehen würde, wenn es von Faschisten mit einem Sinn für retrofuturistische Architektur gebaut worden wäre – sowie einer Handvoll wunderschöner Einstellungen, deutet hier wenig darauf hin, dass es sich um eine Herzensangelegenheit des Regisseurs handelt. Hier wird so viel abgespult und so wenig erzählt, dass man sich irgendwann fragen muss, wie stark Burton in diese Produktion überhaupt involviert war. (Oder, anders ausgedrückt: Wie viel Burton steckt eigentlich noch in ihm?)

Viele der Probleme entstammen dem Drehbuch, das von Ehren Kruger, einer der treibenden Kräfte hinter Michael Bays Transformers-Reihe, verfasst wurde. Es fehlt die Vision, das Konzept, das über die (haarsträubende) Idee hinausgeht, der ursprünglichen Figurenkonstellation Menschen hinzuzufügen. Es ist einer der Gründe, weshalb der Film, gerade während seiner ersten Hälfte, frustrierend inkohärent ist: Szenen und Versatzstücke werden aneinandergereiht, manche davon mit Bezug zum Original; doch eine innere Logik erschliesst sich nie.

Dumbos Erfolg erregt die Aufmerksamkeit des reichen V. A. Vandevere (Michael Keaton, links), der den Elefanten dem Zirkusdirektor Max Medici (Danny DeVito) abkaufen will.
© Disney
Die Maus, die im Disney-Klassiker Dumbos bester Freund ist, tritt als Haustier in Erscheinung, spielt aber keine bedeutende Rolle. Der berüchtigten "Pink Elephants on Parade"-Sequenz wird mit dem Kunststück die Ehre erwiesen, die psychedelische Prozession noch willkürlicher wirken zu lassen, als es im Animationsfilm der Fall war. Die Szene, in der Dumbo im Geheimen seine für gefährlich erklärte Mutter besucht – und deren Vorlage gemeinhin als traurigster Moment im Disney-Kanon gilt –, erleidet nicht Schiffbruch, weil Burtons Titelfigur ein mitunter leicht unheimliches CGI-Konstrukt ist, sondern weil ihr keine Zeit zugestanden wird, um ihre emotionale Kraft zu entfalten.

Letzterer Graben zwischen Original und Neuauflage ist symptomatisch für einen Film, der – trotz der leidlich hintersinnigen Disney-Selbstparodie, die in Vandeveres Albtraumpark betrieben wird – weder als Hommage noch als eigenständige Interpretation reüssiert. Das Jahr der Disney-Remakes hätte besser beginnen können.

★★

Dienstag, 16. April 2019

Mid90s

© Filmcoopi

★★★★

"In diesem Zusammenspiel finden Hill und seine Darsteller zahlreiche berührende Szenen, die sich mosaikartig zu einem nachdenklichen Porträt junger Männlichkeit zusammenfügen: Sie zeigen, wie sich toxisch-hypermaskuline Verhaltensmuster aus familiärer Dysfunktionalität und sozialer Perspektivlosigkeit speisen, weisen aber zugleich darauf hin, wie Freundschaft und emotionale Ehrlichkeit diesen Mechanismen entgegenwirken können."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Montag, 15. April 2019

"Liebe Schweizer Verleiher..." – Teil 4


"Liebe Schweizer Verleiher..." macht auf Filme aufmerksam, die laut filmdistrubution.ch hierzulande noch keinen Verleiher gefunden haben und die es – meiner Meinung nach – verdienen würden, auf Schweizer Leinwänden gezeigt zu werden. An die Arbeit, Schweizer Verleiher!

Teil 1

Teil 2

Teil 3




The Farewell

Letzten Sommer startete der Hollywood-Publikumsliebling Crazy Rich Asians in den Deutschschweizer Kinos – zunächst allerdings nur in der deutschen Synchronfassung. Doch es sollte nicht so bleiben: Eine Woche lang wurde Warner Bros, der zuständige Verleiher, in E-Mails und Tweets von Filmfreunden darauf hingewiesen, dass die Thematik von Jon M. Chus Liebeskomödie – die ostasiatische Diaspora – auch hierzulande von Relevanz ist und man mit einem Verzicht auf die Originalversion am entsprechenden Zielpublikum vorbeiprogrammiert. Warner Bros. lenkte kurzerhand ein und bot den Schweizer Kinos eine untertitellose englischsprachige Fassung an, die sich wochenlang im Programm halten konnte.

Es wäre schön, wenn diese kleine Erfolgsgeschichte, die mit über 22'000 Eintritten für Crazy Rich Asians endete, nicht ein kurioser Einzelfall bliebe, sondern als Indiz dafür, dass Werke über Generationengräben und Identitätsfragen in der globalen ostasiatischen Gemeinschaft auch hier geneigte Zuschauerinnen und Zuschauer finden.

Die nächste grosse Chance, die diesbezügliche Bereitschaft des Schweizer Publikums auf die Probe zu stellen, ist Lulu Wangs Drama The Farewell, dessen Premiere beim diesjährigen Sundance-Filmfestival für begeisterte Kritiken und einen hitzigen Bieterkrieg um die Vertriebsrechte sorgte. (A24, der Moonlight- und Lady Bird-Verleiher, setzte sich schliesslich gegen Netflix, Amazon und Fox Searchlight durch.)

In Wangs autobiografisch inspiriertem Film ist die US-Rapperin und -Schauspielerin Nora Lum, besser bekannt als Awkwafina (Ocean's Eight, Crazy Rich Asians), in ihrer ersten dramatischen Hauptrolle zu sehen: In der Rolle der jungen Sinoamerikanerin Billi reist sie nach China, um ihre krebskranke Grossmutter zu besuchen – trotz der Einwände ihrer Eltern.

In den USA wird The Farewell erst im Juli regulär anlaufen. Entsprechend überrascht es nicht, dass der Film in der Schweiz zurzeit noch ohne Verleiher ist. Dennoch dürfte es sich lohnen, die Situation im Auge zu behalten – besonders angesichts der Tatsache, dass die Schweiz noch immer auf einen Start von Eighth Grade, dem letztjährigen Sundance-Hit, wartet.



Her Smell

Auch bei Alex Ross Perrys Her Smell, der erst letzte Woche in den USA anlief, wäre es wohl noch verfrüht, Druck auf die Schweizer Verleiher auszuüben. Doch auch hier sorgt ein Präzedenzfall für vorauseilendes Misstrauen: Im vergangenen Herbst feierte Brady Corbets Musikfilm Vox Lux in Venedig Premiere und avancierte in der Folge zu einem polarisierenden Underground-Phänomen – aber leider nicht zum Kassenschlager, weshalb er den Schweizer Leinwänden wohl fremd bleiben wird.

Es ist durchaus denkbar, dass Her Smell ein ähnliches Schicksal ereilen wird, obwohl Perrys Film über den langsamen Niedergang einer Punkrockerin (gespielt von Elisabeth Moss) von der Kritik bedeutend besser aufgenommen wurde. "Stell dir vor, Danny Boyles Steve Jobs würde von Courtney Love Mitte der Neunzigerjahre handeln", schreibt Indiewire-Kritiker David Ehrlich in seiner Rezension. Mit so einer Affiche sollte sich doch etwas anfangen lassen.

Gerade vor dem Hintergrund des wieder aufkeimenden Musik-Biopic-Markts – man denke nur an Bryan Singers (fürchterlichen) Oscargewinner Bohemian Rhapsody und die bevorstehende Elton-John-Biografie Rocketman – wäre es erfrischend, parallel dazu auch Werke zu sehen, die mit der etablierten Formel spielen, sie auf fiktive Künstler anwenden und die sprichwörtliche Oberflächlichkeit des Genres ad absurdum führen. Mit Vox Lux hat es nicht geklappt. Nun liegt die Hoffnung bei Her Smell – und den Schweizer Verleihern.



Peterloo

Auf dem Papier scheint es offensichtlich, warum für das Historiendrama Peterloo noch kein Schweizer Kinostart geplant ist. Der Film spielt im industriellen Manchester des frühen 19. Jahrhunderts, handelt von einem Ereignis, von dem ausserhalb Grossbritanniens kaum jemand gehört hat, und dauert obendrein noch geschlagene zweieinhalb Stunden.

Doch es gibt ein gewichtiges Gegenargument: Peterloo ist das neue Projekt des britischen Meisterregisseurs Mike Leigh (Vera Drake, Happy-Go-Lucky, Another Year), sein erster seit dem grandiosen Künstlerporträt Mr. Turner, das 2014 immerhin 46'000 Schweizer in die Kinos lockte. Jener Film zeichnete sich vor allem durch seine faszinierend authentische Rekonstruktion des frühviktorianischen Englands aus – und das nicht nur dank Ausstattung und Kameraarbeit, sondern auch dank Leighs Sinn für zeitgenössische Sprache. Für Peterloo kollaboriert er hinter der Kamera wieder mit den massgeblichen Künstlern von Mr. Turner: Kameramann Dick Pope, Komponist Gary Yershon, dem Ausstattungsteam um Suzie Davies, Dan Taylor und Charlotte Dirickx.

Doch während Leigh in Mr. Turner Geschichten aus dem Leben eines ausserordentlichen Malers erzählte und die soziopolitischen Umwälzungen dieser Zeit nur andeutungsweise figurierten, scheinen diese in Peterloo im Mittelpunkt zu stehen. Ohne jedes Staraufgebot zeigt Leigh das Elend, das nach den Napoleonischen Kriegen im wirtschaftlich gebeutelten Norden Englands herrschte – und wie sich das Volk am 16. August 1819 in Manchester zum Protest versammelte. Ein hochaktuelles Thema also, inszeniert vom vielleicht bedeutendsten aktiven britischen Filmemacher – das muss man im Kino erleben können.

Freitag, 5. April 2019

At Eternity's Gate

© DCM Film

★★★★★

"At Eternity’s Gate mag von den letzten zwei Jahren in van Goghs Leben handeln, ist aber in vielerlei Hinsicht ein Anti-Biopic – voll von kleinen, scheinbar unwichtigen Momenten, biografischen Lücken und introspektiven Off-Monologen. Es ist einer jener seltenen Filme, denen es gelingt, das Gefühl, das Werner Herzog 'ekstatische Wahrheit' nennt, einzufangen."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Mittwoch, 3. April 2019

Tscharniblues II

© Filmbringer

★★★★

"In diesem intimen Porträt findet Aron Nick die delikate Balance zwischen persönlicher Beteiligung und respektvollem Abstand. Er gehört zu einem gewissen Grad zu dieser Männerriege dazu – sein Austausch mit Papa Bäne über seine verstorbene Mutter gehört zu den bewegendsten Momenten des Films –, seine Interviewfragen sind prägnant und präzise, doch oft nimmt er sich auch zurück, um den Gesprächen seiner Protagonisten freien Lauf zu lassen."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Montag, 1. April 2019

Us

Somewhere in the first third of Us, writer-director Jordan Peele's follow-up to his Oscar-winning debut feature Get Out (2017), there is a moment of history-making brilliance. It's a mere two-word line – one that stands out so much in the moment that you could be forgiven for thinking it was a bit clunky. But it is the kind of line that feels like it will play a defining role in Peele's career – if only as an example of how, by only his second directing effort, he seems to have mastered the complex interplay between mood, story, and theme.

The line in question occurs during an especially unsettling home invasion that descends upon the film's protagonists – the vacationing Wilson family, consisting of reticent Adelaide (Lupita Nyong'o), good-humoured Gabe (Winston Duke), and their two children, Zora (Shahadi Wright Joseph) and Jason (Evan Alex). Turning in after a day at the beach – the site of a childhood trauma of Adelaide's – they make a startling discovery: there is a family standing in the driveway of their holiday home – unmoving, dressed in red jumpsuits.

Soon after, the eerie visitors have forced their way into the house, which is where Peele's supernatural horror begins: the intruders, it turns out, are the Wilsons' doubles – or rather, uncanny distortions of them. Gabe finds himself confronted with a lumbering Brute named Abraham (also played by Winston Duke), Zora with the sickle-smiled creep Umbrae (Wright Joseph), Jason with a masked feral child called Pluto (Alex). They are led by Adelaide's doppelgänger Red – a phenomenal, emotionally layered double performance from Lupita Nyong'o – whose croakily cryptic explanation for why they are here does not really shed light on the mystery, so Adelaide asks, "What are you people?" – which prompts Red to utter the best, most evocative line of Peele's career so far: "We're Americans."

Adelaide (Lupita Nyong'o) and her family are visited by their doppelgängers.
© Universal Pictures International Switzerland
If Us was more similar to its predecessor in terms of how it deploys its central metaphors, this would be a terrible line, for while Get Out is an ingenious deconstruction of American racism and predatory whiteness, its general themes, Peele's pointed social criticism, fall into place fairly neatly, which would make such a line gratingly obvious. But Us is a more puzzling film, one that allows for a broader range of possible readings, which may come at the expense of some internal coherence – it's fiendishly difficult to harmoniously square up the subtextual thrust with all the narrative twists – but which also makes this work all the richer.

"We're Americans" has to be understood in that context. The horror of the line, made all the more hair-raising by passing by without any kind of on-screen reaction or elaboration, lies in its vagueness: are Red and her scissors-wielding cohort a terrifying reminder of the dark corners of the American psyche, the country's cruel and bloody history? (Their way of asserting spatial dominance is a bizarre invocation of the 1986 "Hands Across America" campaign, which the movie seems to frame as a furtively colonial gesture.) Or do they signify the very victims of that history coming back to exact righteous revenge on those privileged Americans who routinely deem them un-American?

The doppelgängers are led by Red (Lupita Nyong'o).
© Universal Pictures International Switzerland
Ultimately, both interpretations appear equally valid, because what the film lacks in metaphorical exactness, it delivers in thematic complexity: it seems to cast the United States as a fundamentally cursed space of collective guilt, where the repressed – wilfully forgotten history as well as marginalised groups of people – comes out of the shadows and out of the past to haunt the present. In a film where nothing feels coincidental – thanks to Peele's exceptional direction and his fiercely intelligent, often wickedly funny script, whose intricate game of foreshadowing makes Us a joy to rewatch – no choice feels more deliberate than the fact that the title doubles as "U.S."

These high-concept themes are seamlessly integrated into a potent and highly entertaining horror narrative that takes its cues from Romero's Night of the Living Dead (1968), Kubrick's The Shining (1980), and Haneke's Funny Games (1997) but which works wholly on its own terms – also thanks to stellar work from DP Mike Gioulakis (It Follows) and composer Michael Abels, who help create a whole number of indelible sequences. At this point, it only seems like a matter of time before Jordan Peele is considered one of the best American filmmakers working today.

★★★★★