Mittwoch, 8. Mai 2019

Varda par Agnès

Am 29. März dieses Jahres starb Agnès Varda, "die Mutter der Nouvelle Vague", im Alter von 90 Jahren an Krebs. Gerade einmal eineinhalb Monate zuvor feierte ihr letzter Film Premiere: In Varda par Agnès, der rund um eine Reihe von öffentlichen Lesungen und Gesprächen entstanden ist, lässt sie ihre unvergleichliche Karriere noch einmal Revue passieren.

Varda macht das nicht zum ersten Mal. Bereits in Les plages d'Agnès (2008) rollte sie ihre Biografie und ihr Schaffen auf: von den bescheidenen Anfängen in den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren, in denen sie Fotokunst und experimentelle Low-Budget-Filme wie La Pointe Courte (1955) und Cléo de 5 à 7 (1962) produzierte, über ihre Zeit als neugierige Chronistin verschiedenster Gegenkulturen (Lions Love, Mur murs, Sans toit ni loi) bis hin zu ihrer Selbstneuerfindung um die Jahrtausendwende als Video- und Installationskünstlerin.

Tatsächlich schwingt gerade zu Beginn von Varda par Agnès ein wenig das Gefühl der Wiederholung mit. Varda arbeitet sich im Rahmen einer Masterclass durch ihre Filmografie und beschreibt Elemente, die so oder ähnlich bereits in Plages anklangen – etwa ihren Besuch bei einem verschollen geglaubten Verwandten in der Kurzdokumentation Oncle Yanco (1967) oder die Parallelen zwischen Jacquot de Nantes (1991), ihrer Biopic-Hommage an ihren 1990 an AIDS verstorbenen Ehemann Jacques Demy, und dessen Filmen.

Doch Varda wäre nicht Varda, wenn sie nicht aus vorgefertigten Schemata ausbrechen würde. Natürlich ist ihre Masterclass nicht einfach eine Vorlesung; selbstverständlich gibt sie sich nicht damit zufrieden, "Les plages d'Agnès... dix ans après" zu machen. Entsprechend programmatisch wirkt ihre Reflexion über Plages: "Dieser Film ist aus dem Schrecken heraus entstanden, 80 Jahre alt geworden zu sein. Nun wurde ich gerade 90, und das war mir ziemlich egal."

Agnès Varda – in Bewegung bis zuletzt.
© ARTE
In Varda par Agnès nimmt sich die Regisseurin die Freiheit, das letzte Wort über ihr Werk zu behalten, betont aber zugleich, dass das Kino die Kunstform des Kollektivs ist. Sowohl auf der Masterclass-Bühne als auch in Sequenzen weit abseits öffentlicher Veranstaltungsorte erörtert sie mit Weggefährtinnen wie Pop-Ikone Jane Birkin, Sans toit, ni loi-Hauptdarstellerin Sandrine Bonnaire und Kamerafrau Nurith Aviv die Nuancen ihrer jeweiligen Kollaborationen. (Wer Varda primär als die "kleine, rundliche, gesprächige Oma" kennt, als die sie sich in Plages beschreibt, wird gerade von Bonnaires Erinnerungen überrascht sein.)

Somit wiederholt dieser Film Plages nicht einfach, sondern vertieft im Dialog jene Aspekte, die sich noch vertiefen liessen. Besonders die verlängerte Auseinandersetzung mit Vardas multimedialem Leben im 21. Jahrhundert trägt dazu bei, dass Varda par Agnès viel mehr als eine blosse Fussnote ist. Mit der für sie typischen humorgetränkten Perzeptivität zeigt Varda auf, wie sie ihre einnehmende Weltanschauung – ihren ungebrochenen Feminismus, ihre radikale Empathie, ihr tiefes Interesse an anderen Menschen, ihre Liebe für Katzen – in ihrem letzten Lebensabschnitt nicht nur in Regiearbeiten wie Les glaneurs et la glaneuse (2000) und Visages villages (2017) verhandelt hat, sondern auch in Fotoprojekten, Videoinstallationen und begehbaren Exponaten. Wer Varda par Agnès jetzt – in einer Welt ohne Varda – schaut, kann nur zu einem Schluss kommen: Wir haben am 29. März eine Gigantin verloren.

★★★★

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