Donnerstag, 22. August 2019

Toy Story 4

"Die beste Trilogie aller Zeiten": So lautete im Sommer 2010 vielerorts – von BBC bis Facing the Bitter Truth – das Verdikt, als die Pixar Animation Studios den herausragenden dritten und vermeintlich letzten Teil der Toy Story-Reihe in die Kinos brachten. Doch neun Jahre nach diesem tränenreichen Abschied wollen es Cowboy Woody und Space Ranger Buzz Lightyear in Toy Story 4 noch einmal wissen: Unwillkommen ist das nicht, doch dem nachgereichten Wiedersehen fehlt die emotionale Schlagkraft seiner Vorgänger.

Wer sich aber mit dem Gedanken anfreunden kann, anstatt einer ebenbürtigen Erweiterung eine Fussnote des Toy Story-Kanons zu sehen, wird über die qualitative Kluft zwischen "(einer) der besten Trilogie(n) aller Zeiten" und ihrem vierten Teil hinwegsehen können. Denn trotz eines chaotischen Produktions- und Schreibprozesses, der von Personalwechseln, kreativen Differenzen und dem Rücktritt von Pixar-Urgestein John Lasseter aufgrund diverser glaubhafter Vorwürfe der sexuellen Belästigung geprägt war, legt Regie-Debütant Josh Cooley hier eine äusserst vergnügliche Komödie vor.

Nach einem wehmütigen Blick in die Vergangenheit – als die lebenden Spielzeuge rund um Woody (gesprochen von Tom Hanks) und Buzz (Tim Allen) noch bei Andy wohnten –, der punkto berührender Nostalgie direkt an Toy Story 3 anknüpft, erfahren wir, wie es den Spielzeugen ergangen ist, seit Andy sie der kleinen Bonnie (Madeleine McGraw) vermacht hat. Auch kurz vor ihrem Eintritt in den Kindergarten spielt Bonnie noch hingebungsvoll mit den üblichen Verdächtigen: Buzz, Cowgirl Jessie (Joan Cusack), der Plastikdinosaurier Rex (Wallace Shawn) und wie sie alle heissen kommen tagtäglich zum Einsatz – nur Woody, der einstige Anführer der Truppe, verstaubt langsam im Schrank.

Doch plötzlich überschlagen sich die Ereignisse: Am Kindergarten-Einführungstag fühlt sich Bonnie dermassen allein, dass sie sich einen neuen Freund aus Abfall bastelt. Ein Plastikgöffel, etwas Knete, ein Pfeifenreiniger und ein Eisstiel – fertig ist Forky (Tony Hale), Bonnies neuestes Lieblingsspielzeug. Dabei ahnt sie nicht, wie viele Existenzkrisen sie damit heraufbeschwört: Während Forky wild entschlossen ist, in den Mülleimer zurückzukehren, müssen Woody und seine Freunde versuchen, ihn von der Aufgabe eines Spielzeugs zu überzeugen.

Woody (gesprochen von Tom Hanks) freundet sich mit dem aus Abfall entstandenen Spielzeug Forky (Tony Hale) an.
© The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios
Bewaffnet mit diesen existenzialistischen Ansätzen, die in Toy Story (1995), Toy Story 2 (1999) oder Toy Story 3 wohl noch vertieft worden wären, schicken Cooley und seine sieben (!) Drehbuch-Co-Autor*innen Bonnie, ihre Eltern und ihre Spielzeuge auf einen Camping-Trip, auf dem Woody und Buzz neue Freundschaften schliessen und mit einer alten Bekannten wiedervereint werden. Von Outlaw-Spielzeugen und kanadischen Actionhelden über Stinktier-Fahrzeuge und verrohte Jahrmarkt-Plüschtiere bis hin zu einer neuerlichen, leicht angepassten Inkarnation von Bösewichten wie Stinky Pete (Toy Story 2) und Lotso (Toy Story 3), die mit der brutalen Logik der Wegwerfkultur hadert – Toy Story 4 ist übervoll mit guten Ideen und ausgefallenen Szenarien, was sich sowohl als Segen als auch als Fluch erweist.

Eine derartige Fülle an Elementen – ein eindeutiges Indiz dafür, für wie viele Visionen in diesem Drehbuch Platz gefunden werden musste – stimmig in einem 100-minütigen Familienfilm unterzubringen, ist kein leichtes Unterfangen, weshalb es auch nicht überrascht, dass das Ganze bisweilen ein gewisses Mass an Tiefgang vermissen lässt. Emotionale Momente, gerade im letzten Akt, wirken allzu reissbretthaft und hinterlassen nur einen Bruchteil des Eindrucks, den vergleichbare Szenen in der ursprünglichen Trilogie hinterlassen. Selbst das designiert melancholische Ende ist eher ein geflissentliches Abhaken als ein tief empfundenes Verabschieden der Figuren. Hinzu kommt, dass Toy Story 4 mit seinen spektakulären Actionsequenzen mehr denn je die Glaubwürdigkeit der Vorstellung ausreizt, dass die Menschen nichts von der Lebendigkeit ihrer Spielzeuge wissen.

Auf einem Camping-Trip trifft Woody die zwielichtige Puppe Gabby Gabby (Christina Hendricks).
© The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios
Andererseits ist Toy Story 4 wohl eine der bislang witzigsten Pixar-Produktionen – und damit den Kinobesuch auf jeden Fall wert. Woody und Forky sind ein wunderbar ungleiches Duo, Buzz' neuer Running Gag entschädigt für seine reduzierten Auftritte, der Humor macht immer wieder Abstecher ins herrlich Absurde ("Dad is so going to jail"), während sich der Nebenfiguren-Cast nicht zuletzt dank Sprecher*innen wie Annie Potts, Keanu Reeves, Jordan Peele und Keegan-Michael Key auf höchstem Toy Story-Niveau bewegt.

Tatsächlich wird die Freude am ebenso unterhaltsamen wie sympathischen Toy Story 4 hauptsächlich durch den direkten Vergleich mit seinen Vorgängern getrübt. Auf sich allein gestellt, ist Cooleys Debüt nämlich ein grundsolider Eintrag in die Pixar-Filmografie, der sich qualitativ irgendwo zwischen A Bug's Life (1998) und Monsters University (2013) ansiedeln lässt und einmal mehr belegt, dass auch Filme aus dem Pixar-Mittelfeld noch sehr gutes Kino bieten.

★★★★

Mittwoch, 14. August 2019

Teen Spirit

It's a tale as old as time, or at least the modern entertainment industry: a talented young person, usually a woman, gets her big break in a creative field, leaves her humble origins behind, and, with wide-eyed naiveté, ventures into the ruthless world of commercialised art. From any of the four screen iterations of A Star Is Born to Anne Sewitzky's recent Black Mirror turn Rachel, Jack and Ashely Too, stardom seems to be pop-culture's ultimate poisoned chalice.

Given the formula's continued popularity and considering its potential for both nostalgic reappropriation and subversive reappraisal, it's hardly a surprising choice of mode for a first-time writer-director like Max Minghella, the son of the late Anthony Minghella of The English Patient and The Talented Mr. Ripley fame. However, Minghella's Teen Spirit, which had its world premiere just a week after Bradley Cooper officially launched his career as a director with his take on A Star Is Born, is a strangely featureless affair that doesn't so much put a spin on its well-worn subject as reiterate all the ways in which it has been deployed before.

The talented young person in question here is Violet (Elle Fanning), the daughter of Polish immigrants to the Isle of Wight, who enters a fuzzily outlined multi-round musical talent show called "Teen Spirit" with the help of Vlad (an endearing Zlatko Burić), a washed-up Croatian opera star who now spends his days getting drunk at the local pub. But as Violet progresses through the increasingly competitive contest on the merits of her raw singing talent – and in spite of her pious mother's initial objections – a tender friendship starts to bud between her and her mentor.

Violet (Elle Fanning), a shy immigrant teenager on the Isle of Wight, has a passion for singing.
© Ascot Elite
If any of this sounds like somewhat ramshackle plotting, it's because it is. In what is probably an attempt to offer a more nuanced view on the established stardom narrative, Teen Spirit seems unwilling, or unable, to settle on a coherent framing of Violet's situation and ends up being frustratingly devoid of theme, ticking narrative boxes without any of the emotional pay-off that should go with it.

There are elements of a story about immigration and bridging cultural gaps here, mixed into a tale of rural authenticity clashing with the phoniness of the big city, colliding with a cautionary tale about the corrupting power of fame, which stands side by side with scenes depicting the sheer joy of following one's dream and making people happy in the process. With a truly extraordinary script and breathtakingly nimble direction, this Frankensteinian construct could be turned into a meaningful, multi-layered exploration of stardom that manages to break through all the clichés that have piled up over the decades. But this is not that script, and Minghella is not that director yet.

A former opera star (Zlatko Burić) helps Violet train for a national singing competition.
© Ascot Elite
As is, Teen Spirit is a well-meaning but clumsy mishmash of ideas and topics, of which none are given the time and space they would have needed to make any kind of impact. Violet's identity as a British teenager of Polish origin is reduced to a few instances of code-switching and her pensively gazing at her cross necklace, while her rustic character mainly manifests itself in an aversion to makeup and a severely underwritten relationship with a pet horse.

Add to that a group of vaguely evil record label executives, the kind of jumpy dramaturgy that causes significant character development to take place off-screen in between scenes, a series of uninspiring musical numbers, whose canned and muffled soundscapes make the live performances of Cooper's equally flawed A Star Is Born seem like great cinema, and an ending that feels like the film ran out of breath on the home stretch, and you end up with something that is far more flat and generic than a movie called Teen Spirit has any right to be.

★★

Mittwoch, 7. August 2019

Le daim

© Praesens Film

★★★

"Wer also im Vorfeld zu viel Recherche betrieben hat, wird sich am Ende wahrscheinlich wünschen, dass Dupieux seine Liebe zur Absurdität hier auf abenteuerlichere Art und Weise ausgelebt hätte. Und tatsächlich wirkt Le daim im Vergleich zu einer Brecht’schen Tour de force wie Au poste! ein wenig wie eine Ideenskizze, an der noch länger hätte gefeilt werden können. Aber selbst in Skizzenform ist es eine Freude, Dupieux bei der Arbeit zuzuschauen – auch weil er das dumpfe Gefühl, einem unvollendeten Werk beizuwohnen, zu seinem Vorteil nutzt."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Sonntag, 4. August 2019

Once Upon a Time in Hollywood

© Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH

★★★

"In allzu ausladenden zweieinhalb Stunden entwirft Tarantino hier ein märchenhaft überzeichnetes, oft sehr witziges Sittengemälde eines Schauplatzes, der zum amerikanischen Mythos geworden ist. Mit unverhohlener Nostalgie – und ohne viel kritische Distanz – trauert er der Kultur nach, die im Zuge von New Hollywood und den Manson-Morden untergegangen ist."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)