Doch von Anfag an war Gardi auch fasziniert vom Reisen, veröffentlichte Reiseberichte und -bücher über seine Abenteuer in Lappland, auf Spitsbergen und bei den Walfängern vor Norwegen, bevor es ihn um 1950 nach Afrika verschlug – erst in die Sahara, dann nach Kamerun, wo er sein Herz an die Mandara-Region und die dort ansässige Bevölkerung verlor und Jahre damit verbrachte, sie ethnografisch zu erkunden. So erarbeitete sich Gardi den Ruf eines wohlwollenden Afrika-Experten, der dem deutschsprachigen Raum bis zu seinem Tod im Jahr 2000 die Welt der "edlen Wilden" in Wort und Bild erklärte.
Gerade im Kontext der isolationistisch geprägten Schweiz, in der zu Beginn von Gardis Karriere das Alpen-Reduit noch die bevorzugte militärische Verteidigungsstrategie war, mag dieses pädagogische Unterfangen wie ein nötiger Blick über den Tellerrand wirken. Doch wie Mischa Hedingers simpler, effektiver Dokumentarfilm African Mirror zeigt, ist es höchste Zeit, sich dem Phänomen Gardi aus postkolonialer Perspektive zu nähern und zum Schluss zu kommen, dass die Geschichten der nackten, "primitiven" Mandara das Schweizer Afrikabild bis heute beeinflussen.
Hedinger greift hier einen Diskurs auf, der in der Schweiz seit einigen Jahren verstärkt geführt wird und mit schöner Regelmässigkeit relativierende, wenn nicht sogar wütende Reaktionen auf sich zieht. Die langjährigen Bemühungen des Historikers Hans Fässler, das Agassizhorn in den Berner Alpen, benannt nach dem Fribourger Rassentheoretiker Louis Agassiz, umzutaufen, enden Mal um Mal im Misserfolg. Legitime Argumente gegen den Gebrauch des rassistisch getränkten Begriffs "Mohrenkopf" gelten nationalen Zeitungen als Einschränkung der Redefreiheit. Wird Kritik an einer Basler Fasnachtsgruppierung laut, deren Logo eine koloniale Karikatur eines schwarzen Menschen darstellt, werfen dieselben Publikationen den Kritiker*innen vor, ihre Bemühungen seien kontraproduktiv. Und wehe, man wage es, die weisse Weste der Schweiz im internationalen Sklavenhandel in Zweifel zu ziehen.
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Viel Angriffsfläche bietet der Film solchen Interpretationen aber nicht, denn er verlässt sich ganz auf die Mündigkeit seines Publikums. Mit Ausnahme eines Geleitzitates des kamerunischen Intellektuellen Achille Mbembe über die Konstruiertheit dessen, was in Europa gemeinhin unter "Afrika" verstanden wird, besteht African Mirror hauptsächlich aus veröffentlichtem und unveröffentlichtem Material aus Gardis Nachlass: Fotos, Filmaufnahmen, Fernsehauftritte, unterlegt mit Passagen aus Produktions- und Tagebuchnotizen. Niemals mischt sich eine Erzählstimme ein, um diese Einblicke in Gardis Schaffen kulturhistorisch einzuordnen oder gar zu bewerten. Man ist im Dunkel des Kinosaals allein mit den Ansichten des designierten Schweizer Afrika-Schulmeisters.
Niemand, der diesen Film sieht, wird daran zweifeln können, dass der Mann es gut meinte. Er sorgte sich um das Wohlbefinden der Mandara und kritisierte die missionarische Idee, dass afrikanische Stämme vor ihren Lebensumständen "gerettet" werden müssen. Er war fasziniert von den Traditionen, die er in der nordkamerunischen Steppe vorfand und sah es als seine Pflicht an, ihre Bewohner*innen vor einer exzessiven Anpassung an den westeuropäischen Lebensstil zu bewahren.
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African Mirror ist das Porträt eines Afrikareisenden, der hin- und hergerissen scheint zwischen nostalgisch-herablassender Verklärung und imperialistischer Verachtung der Menschen, denen er seine Karriere gewidmet hatte. Er verfällt dem Klischee der "seligen Primitiven" dermassen enthusiastisch, dass er auch nicht davor zurückschreckt, Einheimische – darunter auch Städter in T-Shirts und Turnschuhen – dafür zu bezahlen, dass sie ihm vor seiner Kamera angeblich traditionelle Szenen in arkadischer Nacktheit vorspielen. Gleichzeitig ist er voller Bewunderung für die französischen Kolonialbeamten, welche die Höfe säumiger Steuerzahler niederbrennen, und fantasiert wiederholt von einer Welt, in der auch die Schweiz über Kolonien verfügt. Mit der fortschreitenden Dekolonisierung Afrikas wächst sein Glaube an die ordnende Hand des Imperialismus: "Der Afrikaner" sei wie ein aufbegehrendes Kind – weder bereit noch von Natur aus fähig, über seine eigenen Geschicke zu bestimmen.
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Das primäre Ziel von African Mirror ist aber nicht, ein vernichtendes Urteil über den fehlbaren, mal latent, mal explizit rassistischen Ethnografen zu fällen, der zu Lebzeiten selber noch folgerte, "Afrika" sei zuallererst eine Projektionsfläche für frustrierte, gelangweilte Europäer*innen. Vielmehr scheint es Hedinger ein Anliegen zu sein, das Publikum von der kolonial geprägten, von Gardi über Generationen hinweg befeuerten Illusion zu befreien, eine fundierte, oder gar objektive, Vorstellung von Afrika und seinen Menschen zu haben. Es ist ein weiterer Schritt in der langsamen mentalen Dekolonisierung der Schweiz – und damit essenzielles Schweizer Kino.
★★★★
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