Sonntag, 29. Dezember 2019

The Farewell

© Ascot Elite

★★★★★

"Trotz aller Tragik zeigt Wang aber auch ein feines Gespür für das absurd-komische Potenzial von Billis Aussenseiterstatus in Changchun und schlägt einiges an komödiantischem Kapital aus ihrer Prämisse, auch dank der hervorragend nuancierten Leistung von Rapperin und Komikerin Awkwafina, die hier in ihrer ersten dramatischen Rolle zu sehen ist und gerade im Zusammenspiel mit der schalkhaften Zhao Shuzhen zu Höchstform aufläuft. Die Mischung könnte kaum besser funktionieren."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Samstag, 28. Dezember 2019

Kinojahr 2019: Top 10

1
PARASITE
(기생충, Bong Joon-ho, Südkorea)

2
PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU
(Céline Sciamma, Frankreich)

3
FIRST REFORMED
(Paul Schrader, USA)

4
THE IRISHMAN
(Martin Scorsese, USA)

5
BURNING
(버닝, Lee Chang-dong, Südkorea)

6
ASH IS PUREST WHITE
(江湖儿女, Jia Zhangke, China)

7
US
(Jordan Peele, USA)

8
THE FAVOURITE
(Yorgos Lanthimos, Grossbritannien/Irland/USA)

9
THE LIGHTHOUSE
(Robert Eggers, USA/Kanada)

10
THE FAREWELL
(Lulu Wang, USA)



HONOURABLE MENTIONS
  • At Eternity's Gate (Julian Schnabel)
  • If Beale Street Could Talk (Barry Jenkins)
  • Rolling Thunder Revue: A Bob Dylan Story by Martin Scorsese (Martin Scorsese)

Mittwoch, 25. Dezember 2019

The Best Films of the 2010s


"I am thrilled to finally be able to present my selection of the best films of the 2010s – a compendium of 100 works that stuck in my mind, that haunted me, that moved me, that I still passionately rewatch. And as is often the case with lists, this one, too, would probably look vastly different if I were to present it on another day, so this selection and especially the individual placements are but snapshots in time. I originally intended for this list to consist of only 25 titles, but that proved too much of a massacre of darlings, so I expanded the number to 50 – and arrived at the exact same conclusion. Thus, I eventually settled on 100 films from the years between 2010 and 2019 – again with a lot of agonising – which I am counting down below, hopeful that it might prompt some readers to catch up on one or two they have missed."

Zu lesen gibt es die Liste auf The Zurich English Student.

Freitag, 20. Dezember 2019

Star Wars: The Rise of Skywalker

The Last Jedi, der achte Haupteintrag in die Science-Fiction-Kultreihe Star Wars, ist einer der besten Blockbuster der 2010er Jahre – womöglich sogar der beste. Denn nachdem J. J. Abrams 2015 mit dem äusserst unterhaltsamen, mit neuen Protagonisten versehenen und dennoch perfekt auf Fan-Nostalgie getrimmten The Force Awakens die nunmehr dritte Trilogie um den Skywalker-Clan losgetreten hatte, erfrechte sich Rian Johnsons Fortsetzung, einen Schritt weiter zu gehen.

40 Jahre nach George Lucas' originalem Star Wars (1977) setzte sich Episode VIII gewissenhaft mit der von Abrams beschworenen Nostalgie auseinander, hinterfragte das Verharren im von männlichem Haudrauf-Heroismus und vorherbestimmten Helden-Genealogien geprägten Status quo und stellte damit eine gerade im Zeitalter der "Cinematic Universes" gewagte Frage in den Raum: Was, wenn wir fortan nach vorne blicken und die Vergangenheit, so sehr ihr Beispiel uns auf dem Weg ins Ungewisse auch leiten mag, Vergangenheit sein lassen? Ausgerechnet Meister Yoda (Frank Oz), der ältesten Figur im Star Wars-Legendarium, fiel die Ehre zu, diese Diagnose zu stellen: "We are what they grow beyond", belehrte sein Geist den desillusionierten Alt-Jediritter Luke Skywalker (Mark Hamill). "That is the true burden of all masters." Soll heissen: Irgendwann reicht es nicht mehr, sich nur auf das Althergebrachte zu beziehen.

The Last Jedi sprach aus, was viele hören mussten – nicht zuletzt an der Spitze der Walt Disney Company, der die Star Wars-Rechte inzwischen gehören –, und er tat das mit einer erzählerischen und filmemacherischen Virtuosität und Originalität, die im zeitgenössischen Mega-Budget-Kino der rigorosen Marktforschung rar geworden ist. Und obwohl der Film den Grossteil der Kritik überzeugen konnte und weltweit über eine Milliarde Dollar einspielte, liess die Quittung nicht lange auf sich warten. Besonders online formierte sich der Widerstand: Eine sehr laute Minderheit stellte Johnsons Vision als Verrat an der Franchise dar, verfasste Tirade um Tirade auf allen möglichen Plattformen, fantasierte über selbstfinanzierte Alternativfilme und schikanierte Darstellerin Kelly Marie Tran so unablässig, dass sie sich von den sozialen Netzwerken zurückzog.

Rey (Daisy Ridley), Poe (Oscar Isaac, 2.v.r.) und Finn (John Boyega, rechts) begeben sich erstmals gemeinsam auf geheime Mission für die Rebellion.
© Lucasfilm
Und wie reagiert nun J. J. Abrams' sehnlichst erwarteter Trilogienabschluss auf seinen polarisierenden Vorgänger? Dass er Johnsons abenteuerlichem Vorbild nicht vollumfänglich folgen würde, war jedenfalls schon im Vorfeld mehr oder weniger ausgemachte Sache – zum einen, weil Abrams nicht der Regisseur für Innovation und Subversion ist; zum anderen, weil die Star Wars-Franchise schon in Return of the Jedi (1983) eine Liebe zum etwas allzu runden Ende bewies. Doch The Rise of Skywalker ist nicht nur nicht abenteuerlich: Der Film ist eine feige Kapitulation vor den besorgniserregenden Auswüchsen einer toxischen Fankultur, die erwartet, dass die von ihr konsumierte Kunst gefälligst ihren eng gefassten Wünschen zu entsprechen hat.

Obwohl hier vordergründig eine Geschichte erzählt wird – eine atem- und thematisch belanglose Schnitzeljagd durch die Galaxie –, wirkt das Ganze weniger wie ein ausgearbeiteter, eigenständiger dritter Teil und mehr wie eine reaktionäre Stellungnahme zu The Last Jedi, dessen originelle Ansätze wahlweise ignoriert, reversiert oder sogar verhöhnt werden. Nicht umsonst verkündet schon der Einführungstext mit unübersehbarem Enthusiasmus: "The dead speak!" So viel zum Thema Vergangenheitsbewältigung und Aufbruchsstimmung.

Wo Johnson die bislang nur auserwählten Persönlichkeiten vorbehaltene "Macht" ("the Force") demokratisierte – eine Kraft, die sich wohlgemerkt aus der tiefen Verbindung zwischen allen Dingen im Universum speist –, indem er Protagonistin Rey (Daisy Ridley) zum "Niemand" erklärte, kehrt Abrams zum Topos der Erbmonarchie zurück, demgemäss eine Star Wars-Heldin über berühmte Verwandtschaft verfügen muss. Die aufrichtige Trauer, mit der Luke in The Last Jedi auf sein Lebenswerk zurückblickte, wird nachträglich zur naiven Stimmungsschwankung umgemünzt. Kylo Ren (Adam Driver – zu gut für diesen Film), der sich zuletzt zum obersten Anführer des bösen First Orders aufschwang und damit scheinbar das Antagonisten-Zepter übernahm, muss sich schon in den ersten Minuten einem neuen alten Bösewicht unterordnen: Palpatine (Ian McDiarmid), der finstere Strippenzieher der ersten beiden Trilogien, ist – ohne sonderlich sinnvolle Erklärung – aus dem Reich der (Schein-)Toten zurückgekehrt.

Kylo Ren (Adam Driver) führt inzwischen den bösen First Order an.
© Lucasfilm
Geradezu widerwärtig fällt, zumindest auf der menschlichen Ebene, indessen der Umgang mit Kelly Marie Tran aus, deren Figur, im letzten Film immerhin eine prominente Mitstreiterin der heldenhaften Rebellen-Protagonisten Finn (John Boyega) und Poe (Oscar Isaac), ein Schattendasein fernab der Handlung fristet – augenscheinlich als Konsequenz dafür, einem besonders garstigen Teil der Fangemeinde sauer aufgestossen zu sein. Abrams, Co-Autor Chris Terrio (Batman v Superman: Dawn of Justice) und die Disney-Verantwortlichen werden zweifellos Erklärungen für diese himmelschreiende Entsagung elementarer Zivilcourage finden; doch die Signalwirkung ist unmissverständlich.

Wären diese kleinkarierten Seitenhiebe gegen The Last Jedi lediglich fehlgeleitete Einzelfälle in einem insgesamt befriedigenden Star Wars-Abenteuer im Stile von The Force Awakens, würde ihre Präsenz vielleicht weniger schwer wiegen. Aber dies bleibt reine Hypothese, da sich The Rise of Skywalker weder um Figurenwachstum noch um eine Geschichte mit emotionaler Tiefe zu scheren scheint. Vorgesetzt wird einem eine Reihe geschäftiger Suchmissionen auf neuen Planeten, die schliesslich zum obligaten Showdown führen. Das mag technisch kompetent gemacht und von einigen willkommenen Lachern durchsetzt sein, verfügt aber zu keinem Zeitpunkt über die Inspirationskraft, die der Star Wars-Reihe zu ihrem Status als Popkultur-Phänomen verholfen hat.

Gründe dafür gibt es viele: Die sich überschlagenden Ereignisse und Wendungen sind selbst im Kontext einer Franchise über Weltraummagie haarsträubend und ziemlich bald nicht mehr ernst zu nehmen. Auch nehmen Abrams und Terrio ihr anfängliches Versprechen, dass "die Toten sprechen", allzu wörtlich: Es ist fast schon lächerlich, wie viele Figuren hier zwecks Szenendramatik scheinbar das Zeitliche segnen, nur um wenig später gesund und munter wieder mitzumischen.

Doch ein alter Bekannter macht Kylo die Rolle des Erzbösewichts streitig – und bekundet Interesse an Rey.
© Lucasfilm
Und über allem liegt die erstickend warme Decke der Nostalgie: Es gilt das Credo "Was vertraut wirkt, ist gut". So wirken etwa die Dynamiken zwischen Rey, Finn und Poe, welche in The Last Jedi alle gewichtige Lernprozesse durchlaufen haben und hier erstmals zu dritt mit dem Raumschiff unterwegs sind, hoffnungslos aufgesetzt. Aufgrund seiner mit Plotdetails überfrachteten Dialoge erhält das Trio nämlich nicht die Gelegenheit, eine eigene Beziehung zu entwickeln, und muss sich damit begnügen, die groben Charakterisierungen des ursprünglichen Dreiergespanns Luke, Leia (Carrie Fisher) und Han Solo (Harrison Ford) zu übernehmen. Es ist ein sich wiederholendes Muster: Anstatt aus dem vorhandenen Material Neues zu schaffen, wird es lediglich dazu benutzt, an den Ruhm von gestern zu erinnern – den alten Wein in neue Schläuche zu füllen.

Natürlich ist das alles nichts Neues im Blockbuster-Geschäft, dem spätestens seit Beginn des "Marvel Cinematic Universe" Stan Lees goldene Regel des seriellen Erzählens zugrunde liegt: die sogenannte "illusion of change" – die Strategie, dem Publikum an der Oberfläche Veränderung vorzugaukeln, im Hintergrund aber dafür zu sorgen, dass sich im Kern alles gleich bleibt. Doch im Fall von The Rise of Skywalker wirkt diese Philosophie der angeblich sicheren Profitoptimierung sowohl künstlerisch als auch gesellschaftlich bedenklich: Das letzte Wort einer einst vielversprechenden Trilogie, deren Mittelteil beherzt und stimmig für einen Aufbruch zu neuen Ufern einstand, fällt nicht nur einem entmutigend generischen Film zu, der mit reaktionärer Beharrlichkeit das Altbekannte gegen jegliche gut gemeinte Herausforderung verteidigt – seine Engstirnigkeit ist zugleich ein Kniefall vor den verstörendsten Impulsen der modernen Fankultur.

★★

Dienstag, 26. November 2019

The Lighthouse

© Universal Pictures International Switzerland

★★★★★

"Anders als in The Witch, wo die tiefsten Abgründe der menschlichen Psyche auf einen schwarzen Ziegenbock und eine mysteriöse Hexe im finsteren Wald projiziert wurden, sind die paranormalen Ansätze von «The Lighthouse» weitaus weniger handfest. Vielmehr sucht Eggers den Horror in der Unsicherheit, ob seine Protagonisten bereits den Verstand verloren haben: Je länger Ephraim und Thomas auf ihrer Leuchtturminsel festsitzen, desto mehr geht auch das Zeitgefühl des Publikums verloren. Nach und nach kommen Zweifel auf, ob man überhaupt darauf vertrauen kann, dass das Geschehen auf der Leinwand aus einem objektivem Blickwinkel erzählt wird."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Samstag, 23. November 2019

A White, White Day

© Xenix Filmdistribution GmbH

★★★

"Als Gesamtkunstwerk mag A White, White Day nicht restlos überzeugen. Dass der Film ursprünglich als Krimi konzipiert war, Hlynur Pálmason sich in der Folge aber für eine Charakterstudie entschied, ist angesichts der wenig eleganten Mischung aus Mystery-Elementen und minimalistischem Figurendrama alles andere als eine Überraschung. Und trotzdem übt die Geschichte von Ingimundur, Salka und den 'weissen, weissen Tagen', an denen die Toten die Lebenden besuchen, bis zum Schluss eine urtümliche Faszination aus."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Montag, 18. November 2019

The Irishman

© Netflix

★★★★

"But what The Irishman may lack in gloss, it more than makes up for in substance. In its first 160 minutes or so, as Frank Sheeran is mentored by mob kingpin Russell Bufalino (Joe Pesci, back in action), whose support for President John F. Kennedy clashes with the interests of Jimmy Hoffa, it plays like an effortlessly entertaining variation on the Scorsese mafia mode, infused with a healthy dose of historical consciousness."

Full review at Maximum Cinema.

Montag, 4. November 2019

ONE FOR YOU: "Madame" & "Cléo de 5 à 7"


In my third guest appearance on the One for You film podcast, host Olivia Tjon-A-Meeuw and I discuss the new Swiss documentary Madame by Stéphane Riethauser and Agnès Varda's French New Wave classic Cléo de 5 à 7. We also talk about upcoming releases we're looking forward to, and I'm previewing my forthcoming list of the best films of the decade. Listen to the episode on Soundcloud or the podcast app of your choice.

Sonntag, 3. November 2019

Sorry We Missed You

© Filmcoopi

★★★★

"Sorry We Missed You zeigt mit schulmeisterlicher Geradlinigkeit, wie dieses Arbeitsklima soziale Strukturen zersetzt: Ricky und Abby sind hoffnungslos überarbeitet und entsprechend nicht in der Lage, ihren Kindern die nötige Aufmerksamkeit zu geben, wodurch das Familiengefüge zunehmend in die Brüche zu gehen droht. Das mag didaktisch sein, funktioniert aber nicht zuletzt dank der grossartigen Darbietungen von Kris Hitchen und Debbie Honeywood."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Freitag, 1. November 2019

Atlantique

© trigon-film

★★★★

"Kaum eine Sequenz vergeht, ohne dass sich der Atlantische Ozean in irgendeiner Form bemerkbar macht – viele Szenen spielen am Strand; mal droht die tosende Brandung, einen Dialog zu übertönen; mal verweilt die Kamera von Claire Mathon (Portrait de la jeune fille en feu) auf der im Meer versinkenden Sonne. Diese Affinität ist kein rein ästhetischer Kniff, sondern eine bewusste Beschwörung historischer, politischer und kultureller Assoziationen: Hier wird eine direkte Linie gezogen zwischen modernen Migranten wie Souleiman, die auf der Suche nach einer besseren Zukunft in den Wellen verschwinden, und den Opfern des transatlantischen Sklavenhandels."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Montag, 21. Oktober 2019

Portrait de la jeune fille en feu

© Cineworx

★★★★★

"Sciamma braucht keine grossen Gesten – und schon gar keine ausgedehnten, voyeuristischen Sexszenen, wie sie Abdellatif Kechiche in La vie d’Adèle zelebrierte –, um dem Publikum die grossen Emotionen zu vermitteln, die sich hier hinter den strengen Sittenvorstellungen des vorrevolutionären französischen Adels verbergen. Sie inszeniert die langsame Annäherung von Marianne und Héloïse mit der unaufdringlichen Scharfsichtigkeit einer Meisterregisseurin – und zwei herausragenden Hauptdarstellerinnen: Jede Interaktion ist gespickt mit vielsagenden Blicken und Bewegungen; der ganze Film, so ruhig er auch ist, knistert mit Romantik und Sehnsucht."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Freitag, 18. Oktober 2019

Holes and Pegs, or: Todd Phillips vs. "Joker"

"And aren't these … the same little film-makers who are so convinced of their importance that they can scarcely conceive of a five-minute film which doesn't end with what they, no doubt, regard as the ultimate social comment: the mushroom cloud rising." – Pauline Kael, "Circles and Squares" (1963)

Heading into another long, ostensibly wide-open awards season, the stage has already been set for a whole host of debates that will likely dominate critical discourse for the next few months – from Martin Scorsese's thoughts on Marvel to yet another rendition of the eternal Oscar struggle between traditional biopics and 'prestige' productions to the question whether Bong Joon-ho's Parasite can charm the notoriously U.S.-centric Academy. (Hope dies last.)

However, perhaps the most prevalent cinematic point of contention at the moment is what to make of Joker, a strikingly pared-down, 'realistic' take on the origins of the titular Batman villain. The film staged an upset at this year's Venice Film Festival, taking home the top prize, and has since courted nothing but controversy: it's been called "dangerous" for its allegedly celebratory depiction of white-male fury and violence – and has been fêted for it in the more disreputable corners of the Internet. There was talk of police and military presence at screenings, for fear of Joker-inspired mass shootings – fears that were not exactly allayed when director Todd Phillips, of dubious The Hangover fame, made the ludicrous claim that "woke culture," or "political correctness," has rendered making comedy impossible.

In an increasingly polarised media environment, which mirrors the ideological and political polarisation of society at large, this makes the relative value of a movie like Joker especially difficult to assess. The narratives that spring up around it become self-perpetuating: there's nothing to stop online misogynists from declaring this their sacred text – least of all a director parroting the talking points of right-wing trolls – which in turn makes praising the film's undeniable merits a cumbersome exercise in beating around the bush. This is hardly a recent development: David Fincher's Fight Club is now in its 20th year of being misread by so-called men's rights activists as a masculinist manifesto. But what is particularly frustrating about Joker is that, ultimately, it is little more than a mediocre movie – an intriguing idea poorly executed, whose significance is massively inflated by the noise that surrounds it.

By day, Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) is an out-of-luck party clown.
© Warner Bros. Ent.
Set in 1981, Joker tells the story of downtrodden party clown Arthur Fleck (Joaquin Phoenix): living with his reclusive mother (Frances Conroy) in a dingy apartment following a stint in a mental institution, Arthur aspires to follow in the footsteps of his TV idol, talk show host Murray Franklin (Robert De Niro), and become a stand-up comedian. He is hampered in this endeavour, however, by forces outside of his control: he has trouble connecting with people, partly because of a medical condition that makes him break out in shrill compulsive laughter in moments of extreme emotional stress; and he falls straight through Gotham City's social safety net, as the underfunded office designed to help him deal with his psychological issues is marred by overworked staff and in the process of being economised out of existence.

In essence, Todd Phillips and co-writer Scott Silver have remixed two Martin Scorsese classics – 1976's Taxi Driver and 1983's The King of Comedy, both starring Robert De Niro – into an origin story of a towering figure of the American comic book canon, who, not least through his screen incarnations in the forms of Cesar Romero, Jack Nicholson, Mark Hamill, and Heath Ledger, has reached the status of a universally recognisable arch-villain.

It's a nifty move, not approaching this character from the standpoint of an over-codified comic book adaptation – a "theme park ride," as Scorsese would call it – or even the moody genre revisionism of James Mangold's Logan (2017) or Christopher Nolan's Dark Knight trilogy, but through the lens of a New Hollywood drama – a mode fascinated by the social mechanisms that turn people into what the public perceives as heroes and villains. It's unquestionably innovative, the very definition of thinking outside the parameters of received box-office wisdom. It is also, however, indicative of why this experiment ultimately ends in failure, because the two – the Joker and the New Hollywood drama – prove themselves to be a fundamentally incompatible pairing. In fact, Joker as a whole is a cautionary tale of what happens when square pegs are forced into round holes with reckless abandon.

By night, Arthur dreams of being a famous stand-up comedian.
© Warner Bros. Ent.
This is not to say that there is nothing worthwhile being attempted here. Indeed, much of what does resonate in Joker is a direct result of its empathetic casting of Arthur Fleck as an especially unlucky everyman failed by the institutions that are supposed to protect people like him. As a broad indictment of how capitalism, through its ruthless emphasis on profit ratios, marginalises those who do not fit into its conception of success, the movie even taps into an anger that feels justified and fiercely contemporary, yet in keeping with its period setting – the early years of neoliberal Reaganomics.

The problem is that, despite the film's best efforts to convince us of the opposite, none of this ever coalesces into anything concrete, anything coherent. For all its posturing, for all its grandstanding in the face of "society," for all its dramatic close-ups and ponderous slow-motion shots of Joaquin Phoenix's emaciated torso, Joker is shockingly light on actual thematic substance. With the empty cynicism of a teenager rooting for Heath Ledger's Joker in The Dark Knight (2008), it lets its anti-establishment streak descend into violent chaos, which it seems reluctant to take a decisive stance on and whose only in-universe alternative appears to be dismissive classism. All the while, Arthur turns out to be a less than ideal target for the audience's empathy because, well, he is the Joker and he kills people for fun.

One could make the case that this clumsy shotgun marriage between an irredeemable comic book psychopath and a narrative that masquerades as a sincere exploration of mental health issues under runaway capitalism is actually a transgressive challenge to established tastes and conventions. But Joker fails as subversive provocation just as much as it fails as serious drama because it is full of these kinds of glaring mismatches, which infect both the storytelling and the filmmaking.

Arthur's hero is TV comedian Murray Franklin (Robert De Niro).
© Warner Bros. Ent.
Take Joaquin Phoenix's widely praised lead performance, which is undoubtedly a tour de force: harking back to the raw, rough-hewn physicality he brought to Lynne Ramsay's You Were Never Really Here (2018), Phoenix imbues every one of Arthur's downcast flinches, awkward shuffles, and stylised grimaces with the air of dramatic deliberation, to a point where there is almost a silent-movie quality about him – which is fitting, given that the Joker was originally inspired by a character played by the Weimar Republic star Conrad Veidt. This strangely emphatic turn hints at an intriguing way of thinking about Arthur Fleck, suggesting that he, too, is "never really here," that all we get to see is in fact a persona, an act, a routine he pieced together by watching TV and observing the people around him. In Phoenix's interpretation, we see an Arthur who is not so much – or at least not exclusively – the victim of an uncaring world as he is playing at being one, having lost the ability or the inclination to access genuine emotion.

That might have been a powerful and truly disturbing frame for a Joker origin story. But as it stands, Phoenix's reading is fundamentally at odds with the vision of Phillips and Silver, who, in structure and staging, have opted for a straightforward character study: heaping misfortune upon misfortune, indignity upon indignity, Joker's interminable second act is devoted entirely to chronicling Arthur's apparent descent into aggrieved, murderous madness, even though on the performance level, he seems to have already reached the metaphorical bottom by the time the movie starts. In this light, much of what Phoenix does loses its potential lustre: under Phillips' direction, his ostentatious laughing fits and spontaneous post-murder dances aren't darkly ambiguous but cloying, repetitive, and embarrassingly pretentious annoyances.

As the Joker, Arthur gains notoriety in Gotham City.
© Warner Bros. Ent.
Time and again, the individual parts of Joker chafe against the whole they have been assembled into. Like Phoenix, DP Lawrence Sher's expressively lit shots hint at depth but are trapped in an utterly flat film, used to little effect beyond giving the viewer something vaguely aesthetic to look at. Composer Hildur Guðnadóttir, who has previously lent her cello skills to the most remarkable scores of the late Jóhann Jóhannsson (Prisoners, Sicario, Arrival), is also shortchanged by a movie that deploys her brilliantly atmospheric musical accompaniments – and the soundtrack department's canny song choices – with all the subtlety and care of a sledgehammer, robbing promising moments of their poignancy by overloading and diluting them with blunt emotional shorthand – partially, one would assume, because Phillips does not seem to have a concrete notion of what is going on inside his main character.

Indeed, contrary to general discourse, Joker's greatest sin is not that it is incendiary or "dangerous" or supportive of anarchist violence in the streets. In fact, it isn't really any of these things, though it is clearly enamoured with the idea that it might be – the breathless, bloody escalation of the third act, which culminates in the climactic image of the Joker standing Christ-like on top of a wrecked police car, suggests as much. But at the end of the day, all of this is empty posturing, a movie that acts – and by all accounts thinks – that it has something to say politically and artistically, when it is merely a showcase for aimless nihilism and a director hopelessly out of his depth.

Mittwoch, 2. Oktober 2019

African Mirror

Fast ein halbes Jahrhundert lang war der Berner René Gardi eine unangefochtene Grösse in Schweizer Kinder- und Wohnzimmern. In den Vierzigerjahren machte sich der gelernte Mathematiker, Physiker und Zoologe einen Namen mit Pfadfinderromanen, in denen er eine ganze Generation von der Flussschifffahrt oder dem Pilotendasein träumen liess.

Doch von Anfag an war Gardi auch fasziniert vom Reisen, veröffentlichte Reiseberichte und -bücher über seine Abenteuer in Lappland, auf Spitsbergen und bei den Walfängern vor Norwegen, bevor es ihn um 1950 nach Afrika verschlug – erst in die Sahara, dann nach Kamerun, wo er sein Herz an die Mandara-Region und die dort ansässige Bevölkerung verlor und Jahre damit verbrachte, sie ethnografisch zu erkunden. So erarbeitete sich Gardi den Ruf eines wohlwollenden Afrika-Experten, der dem deutschsprachigen Raum bis zu seinem Tod im Jahr 2000 die Welt der "edlen Wilden" in Wort und Bild erklärte.

Gerade im Kontext der isolationistisch geprägten Schweiz, in der zu Beginn von Gardis Karriere das Alpen-Reduit noch die bevorzugte militärische Verteidigungsstrategie war, mag dieses pädagogische Unterfangen wie ein nötiger Blick über den Tellerrand wirken. Doch wie Mischa Hedingers simpler, effektiver Dokumentarfilm African Mirror zeigt, ist es höchste Zeit, sich dem Phänomen Gardi aus postkolonialer Perspektive zu nähern und zum Schluss zu kommen, dass die Geschichten der nackten, "primitiven" Mandara das Schweizer Afrikabild bis heute beeinflussen.

Hedinger greift hier einen Diskurs auf, der in der Schweiz seit einigen Jahren verstärkt geführt wird und mit schöner Regelmässigkeit relativierende, wenn nicht sogar wütende Reaktionen auf sich zieht. Die langjährigen Bemühungen des Historikers Hans Fässler, das Agassizhorn in den Berner Alpen, benannt nach dem Fribourger Rassentheoretiker Louis Agassiz, umzutaufen, enden Mal um Mal im Misserfolg. Legitime Argumente gegen den Gebrauch des rassistisch getränkten Begriffs "Mohrenkopf" gelten nationalen Zeitungen als Einschränkung der Redefreiheit. Wird Kritik an einer Basler Fasnachtsgruppierung laut, deren Logo eine koloniale Karikatur eines schwarzen Menschen darstellt, werfen dieselben Publikationen den Kritiker*innen vor, ihre Bemühungen seien kontraproduktiv. Und wehe, man wage es, die weisse Weste der Schweiz im internationalen Sklavenhandel in Zweifel zu ziehen.

© Outside the Box
African Mirror wird sich ähnlichen Retourkutschen ausgesetzt sehen: Gardi sei ein Kind seiner Zeit gewesen, wird es wohl heissen – ein unvollkommener, aber letztlich eben auch unproblematischer Verfechter der Volksaufklärung; ein Schweizer Flaherty oder Grzimek, den Hedinger nun ins unerbittliche Scheinwerferlicht der Moralvorstellungen des 21. Jahrhunderts zerre, um ihn posthum noch "zum Rassisten stempeln" zu können. Eine weitere Rufmordkampagne einer Bewegung, die, in den Worten von Kolumnist Ronnie Grob, "'rassistisch' zu einem beliebigen Begriff abwertet und geradezu inflationär verwendet".

Viel Angriffsfläche bietet der Film solchen Interpretationen aber nicht, denn er verlässt sich ganz auf die Mündigkeit seines Publikums. Mit Ausnahme eines Geleitzitates des kamerunischen Intellektuellen Achille Mbembe über die Konstruiertheit dessen, was in Europa gemeinhin unter "Afrika" verstanden wird, besteht African Mirror hauptsächlich aus veröffentlichtem und unveröffentlichtem Material aus Gardis Nachlass: Fotos, Filmaufnahmen, Fernsehauftritte, unterlegt mit Passagen aus Produktions- und Tagebuchnotizen. Niemals mischt sich eine Erzählstimme ein, um diese Einblicke in Gardis Schaffen kulturhistorisch einzuordnen oder gar zu bewerten. Man ist im Dunkel des Kinosaals allein mit den Ansichten des designierten Schweizer Afrika-Schulmeisters.

Niemand, der diesen Film sieht, wird daran zweifeln können, dass der Mann es gut meinte. Er sorgte sich um das Wohlbefinden der Mandara und kritisierte die missionarische Idee, dass afrikanische Stämme vor ihren Lebensumständen "gerettet" werden müssen. Er war fasziniert von den Traditionen, die er in der nordkamerunischen Steppe vorfand und sah es als seine Pflicht an, ihre Bewohner*innen vor einer exzessiven Anpassung an den westeuropäischen Lebensstil zu bewahren.

© Outside the Box
Doch mit seiner subtilen Art, Worte und Bilder im Stile von Regina Schillings Kulenkampffs Schuhe (2018) in einen Dialog treten zu lassen, macht Hedinger auch unmissverständlich deutlich, dass Gardis Weltanschauung auf kolonialem Paternalismus beruhte – auf der rassistischen Überzeugung, dass es weisse Europäer*innen in Afrika nicht mit ebenbürtigen Individuen zu tun haben, sondern mit minderbemittelten, unschuldigen kleinen Geschwistern, die mit einer Kombination aus Verständnis und elterlicher Strenge auf den Pfad der Erleuchtung gebracht werden sollen.

African Mirror ist das Porträt eines Afrikareisenden, der hin- und hergerissen scheint zwischen nostalgisch-herablassender Verklärung und imperialistischer Verachtung der Menschen, denen er seine Karriere gewidmet hatte. Er verfällt dem Klischee der "seligen Primitiven" dermassen enthusiastisch, dass er auch nicht davor zurückschreckt, Einheimische – darunter auch Städter in T-Shirts und Turnschuhen – dafür zu bezahlen, dass sie ihm vor seiner Kamera angeblich traditionelle Szenen in arkadischer Nacktheit vorspielen. Gleichzeitig ist er voller Bewunderung für die französischen Kolonialbeamten, welche die Höfe säumiger Steuerzahler niederbrennen, und fantasiert wiederholt von einer Welt, in der auch die Schweiz über Kolonien verfügt. Mit der fortschreitenden Dekolonisierung Afrikas wächst sein Glaube an die ordnende Hand des Imperialismus: "Der Afrikaner" sei wie ein aufbegehrendes Kind – weder bereit noch von Natur aus fähig, über seine eigenen Geschicke zu bestimmen.

© Outside the Box
René Gardi war eine komplexe Persönlichkeit. Das legt nicht nur jener viel zu oberflächlich vorgetragene Moment nahe, in dem sich der einstige Sekundarlehrer nach einem Selbstmordversuch dazu bekennt, sich in den frühen Vierzigerjahren an seinen Schülern vergangen zu haben. Gut 85 Minuten lang reiht Hedinger hier hemmungslose Afrika-Romantisierung an weisse Arroganz an unbeholfen formulierte Empathie an saloppen Rassismus an Plädoyers gegen europäische Ignoranz an ungeheuerliche Entmenschlichungen ("Du würdest doch sicher nicht mit so einem Schwarzen am Tisch essen wollen?").

Das primäre Ziel von African Mirror ist aber nicht, ein vernichtendes Urteil über den fehlbaren, mal latent, mal explizit rassistischen Ethnografen zu fällen, der zu Lebzeiten selber noch folgerte, "Afrika" sei zuallererst eine Projektionsfläche für frustrierte, gelangweilte Europäer*innen. Vielmehr scheint es Hedinger ein Anliegen zu sein, das Publikum von der kolonial geprägten, von Gardi über Generationen hinweg befeuerten Illusion zu befreien, eine fundierte, oder gar objektive, Vorstellung von Afrika und seinen Menschen zu haben. Es ist ein weiterer Schritt in der langsamen mentalen Dekolonisierung der Schweiz – und damit essenzielles Schweizer Kino.

★★★★

Dienstag, 1. Oktober 2019

La belle époque

© Pathé Films AG

★★★★

"Abgesehen von der halbgaren und hoffnungslos antiquierten Liebesgeschichte zwischen Antoine und Margot, besticht La belle époque vor allem durch seine Bereitschaft, das filmisch allzu oft verklärte Phänomen der Nostalgie kritisch zu beleuchten: Auteuil brilliert als Victor nicht zuletzt, weil er ihn – in bester Komödienmanier – als jemanden spielt, der niemals richtig erwachsen geworden ist. Das mag zwar immer wieder zu Lachern führen, suggeriert zugleich aber auch einen dysfunktionalen Mann, der irgendwann aufgehört hat, nach vorne zu blicken und sich in seiner egozentrischen Missgunst gegenüber jeglicher Veränderung wie ein unbeugsamer Verfechter einer besseren Zeit vorkommt."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Donnerstag, 26. September 2019

The Goldfinch

© Warner Bros. Ent.

★★

"War Crowleys Brooklyn (2015), nach einem Roman von Colm Tóibín, noch ein graziles Drama mit präzis gezeichneten Figuren und einem Flair für Zeit und Ort, erweist sich The Goldfinch als leb- und konturloses Konstrukt, dessen durcheinandergewirbelte Einzelteile sich nie zu einem ansprechenden Ganzen zusammenfügen. Indem er die Chronologie von Tartts Erzählung auflöst, kommt Drehbuchautor Peter Straughan (Tinker Tailor Soldier Spy) jegliche Schlagkraft abhanden, welche die Geschichte hätte haben können."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Donnerstag, 19. September 2019

Ad Astra

© 20th Century Fox

★★★★

"Gray reichert diese archaische, bisweilen hyperliterarische Erzählung im Stile von Heart of Darkness und Moby-Dick aber nicht nur mit herausragend inszenierten, schaurig stillen Action- und Thrillersequenzen an, in denen die grandiose Arbeit von Kameramann Hoyte van Hoytema (Interstellar) und Komponist Max Richter besonders zur Geltung kommt. Trotz einer nicht eben subtilen Überbeanspruchung von inneren Monologen, die selten etwas Wesentliches zu einer Szene beitragen, kreiert Gray immer wieder Momente von aussergewöhnlichem Tiefgang, die den männlichen Heldenkomplex des Science-Fiction-Kanons aushebeln und das Genre effektiv weiterdenken."

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Dienstag, 17. September 2019

Der Büezer

© Milieu Pictures

★★★

"Hier trifft atmosphärisches Filmemachen auf eine erfrischend nüchterne, weder überzeichnet noch allzu moralistisch wirkende Vision der modernen Schweiz. Bliebe der Film diesem Konzept im Grossen und Ganzen treu, wäre auch das stete Anhäufen immer neuer Konfliktfelder, die sich in 83 Minuten unmöglich überzeugend abarbeiten lassen, zu verkraften. Problematisch wird Der Büezer aber, als Kaufmann, der neben der Regie auch für Drehbuch, Schnitt und Produktion zeichnet, städtische Isolation, Sektenfanatismus, Frauenhass und Kinderprostitution zu einem explosiven Finale zu verdichten versucht."

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Mittwoch, 4. September 2019

Das Leben ist eines der Leichtesten

© Hochschule Luzern – Design & Kunst – BA Animation Studiengang Film

★★★★

"Die Linien gleiten mit der ballettartigen Eleganz von Viking Eggelings avantgardistischer Symphonie diagonale (1925) über die Leinwand und verwandeln sich in geometrische Formen, markante Figurenskizzen, Bäume, Regenwolken, ja, ganze kriegsversehrte Städte. Nicht zuletzt deshalb ist Das Leben ist eines der Leichtesten eine virtuose Erinnerung daran, warum der Animationsfilm 'das Medium der unbegrenzten Möglichkeiten' genannt wird."

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Dienstag, 3. September 2019

Diego Maradona

© DCM

★★★

"Wie schon in Senna und Amy wird diese Fülle an Eindrücken zu einem spannenden Narrativ verdichtet, anhand dessen sich nicht zuletzt nachgeborene Fussballfans einen willkommenen Überblick über das Phänomen Maradona verschaffen können. Gleichzeitig ist Kapadias Kino aber immer noch eines der absoluten, beinahe schon identitätslosen Funktionalität. Maradona mag sich hie und da zu den zahlreichen anderen Erzählstimmen dazugesellen, doch letztlich ist es irrelevant, dass der Protagonist dieses Films noch lebt."

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Montag, 2. September 2019

La séparation des traces

© First Hand Films

★★★

"Schwärmt er im einen Moment angesichts seiner eigenen Filme vom Verwischen der Absolute, spricht er dort verschmitzt von seiner Verachtung für den modernen Fussball und erinnert an seine "reaktionäre" Unterstützung des traditionellen Familienbildes. Während Godard und Varda in ihren autobiografischen Selbstporträts den Blick für das Universelle behalten, interessiert sich Reusser hier vor allem für Reusser."

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Donnerstag, 22. August 2019

Toy Story 4

"Die beste Trilogie aller Zeiten": So lautete im Sommer 2010 vielerorts – von BBC bis Facing the Bitter Truth – das Verdikt, als die Pixar Animation Studios den herausragenden dritten und vermeintlich letzten Teil der Toy Story-Reihe in die Kinos brachten. Doch neun Jahre nach diesem tränenreichen Abschied wollen es Cowboy Woody und Space Ranger Buzz Lightyear in Toy Story 4 noch einmal wissen: Unwillkommen ist das nicht, doch dem nachgereichten Wiedersehen fehlt die emotionale Schlagkraft seiner Vorgänger.

Wer sich aber mit dem Gedanken anfreunden kann, anstatt einer ebenbürtigen Erweiterung eine Fussnote des Toy Story-Kanons zu sehen, wird über die qualitative Kluft zwischen "(einer) der besten Trilogie(n) aller Zeiten" und ihrem vierten Teil hinwegsehen können. Denn trotz eines chaotischen Produktions- und Schreibprozesses, der von Personalwechseln, kreativen Differenzen und dem Rücktritt von Pixar-Urgestein John Lasseter aufgrund diverser glaubhafter Vorwürfe der sexuellen Belästigung geprägt war, legt Regie-Debütant Josh Cooley hier eine äusserst vergnügliche Komödie vor.

Nach einem wehmütigen Blick in die Vergangenheit – als die lebenden Spielzeuge rund um Woody (gesprochen von Tom Hanks) und Buzz (Tim Allen) noch bei Andy wohnten –, der punkto berührender Nostalgie direkt an Toy Story 3 anknüpft, erfahren wir, wie es den Spielzeugen ergangen ist, seit Andy sie der kleinen Bonnie (Madeleine McGraw) vermacht hat. Auch kurz vor ihrem Eintritt in den Kindergarten spielt Bonnie noch hingebungsvoll mit den üblichen Verdächtigen: Buzz, Cowgirl Jessie (Joan Cusack), der Plastikdinosaurier Rex (Wallace Shawn) und wie sie alle heissen kommen tagtäglich zum Einsatz – nur Woody, der einstige Anführer der Truppe, verstaubt langsam im Schrank.

Doch plötzlich überschlagen sich die Ereignisse: Am Kindergarten-Einführungstag fühlt sich Bonnie dermassen allein, dass sie sich einen neuen Freund aus Abfall bastelt. Ein Plastikgöffel, etwas Knete, ein Pfeifenreiniger und ein Eisstiel – fertig ist Forky (Tony Hale), Bonnies neuestes Lieblingsspielzeug. Dabei ahnt sie nicht, wie viele Existenzkrisen sie damit heraufbeschwört: Während Forky wild entschlossen ist, in den Mülleimer zurückzukehren, müssen Woody und seine Freunde versuchen, ihn von der Aufgabe eines Spielzeugs zu überzeugen.

Woody (gesprochen von Tom Hanks) freundet sich mit dem aus Abfall entstandenen Spielzeug Forky (Tony Hale) an.
© The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios
Bewaffnet mit diesen existenzialistischen Ansätzen, die in Toy Story (1995), Toy Story 2 (1999) oder Toy Story 3 wohl noch vertieft worden wären, schicken Cooley und seine sieben (!) Drehbuch-Co-Autor*innen Bonnie, ihre Eltern und ihre Spielzeuge auf einen Camping-Trip, auf dem Woody und Buzz neue Freundschaften schliessen und mit einer alten Bekannten wiedervereint werden. Von Outlaw-Spielzeugen und kanadischen Actionhelden über Stinktier-Fahrzeuge und verrohte Jahrmarkt-Plüschtiere bis hin zu einer neuerlichen, leicht angepassten Inkarnation von Bösewichten wie Stinky Pete (Toy Story 2) und Lotso (Toy Story 3), die mit der brutalen Logik der Wegwerfkultur hadert – Toy Story 4 ist übervoll mit guten Ideen und ausgefallenen Szenarien, was sich sowohl als Segen als auch als Fluch erweist.

Eine derartige Fülle an Elementen – ein eindeutiges Indiz dafür, für wie viele Visionen in diesem Drehbuch Platz gefunden werden musste – stimmig in einem 100-minütigen Familienfilm unterzubringen, ist kein leichtes Unterfangen, weshalb es auch nicht überrascht, dass das Ganze bisweilen ein gewisses Mass an Tiefgang vermissen lässt. Emotionale Momente, gerade im letzten Akt, wirken allzu reissbretthaft und hinterlassen nur einen Bruchteil des Eindrucks, den vergleichbare Szenen in der ursprünglichen Trilogie hinterlassen. Selbst das designiert melancholische Ende ist eher ein geflissentliches Abhaken als ein tief empfundenes Verabschieden der Figuren. Hinzu kommt, dass Toy Story 4 mit seinen spektakulären Actionsequenzen mehr denn je die Glaubwürdigkeit der Vorstellung ausreizt, dass die Menschen nichts von der Lebendigkeit ihrer Spielzeuge wissen.

Auf einem Camping-Trip trifft Woody die zwielichtige Puppe Gabby Gabby (Christina Hendricks).
© The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios
Andererseits ist Toy Story 4 wohl eine der bislang witzigsten Pixar-Produktionen – und damit den Kinobesuch auf jeden Fall wert. Woody und Forky sind ein wunderbar ungleiches Duo, Buzz' neuer Running Gag entschädigt für seine reduzierten Auftritte, der Humor macht immer wieder Abstecher ins herrlich Absurde ("Dad is so going to jail"), während sich der Nebenfiguren-Cast nicht zuletzt dank Sprecher*innen wie Annie Potts, Keanu Reeves, Jordan Peele und Keegan-Michael Key auf höchstem Toy Story-Niveau bewegt.

Tatsächlich wird die Freude am ebenso unterhaltsamen wie sympathischen Toy Story 4 hauptsächlich durch den direkten Vergleich mit seinen Vorgängern getrübt. Auf sich allein gestellt, ist Cooleys Debüt nämlich ein grundsolider Eintrag in die Pixar-Filmografie, der sich qualitativ irgendwo zwischen A Bug's Life (1998) und Monsters University (2013) ansiedeln lässt und einmal mehr belegt, dass auch Filme aus dem Pixar-Mittelfeld noch sehr gutes Kino bieten.

★★★★

Mittwoch, 14. August 2019

Teen Spirit

It's a tale as old as time, or at least the modern entertainment industry: a talented young person, usually a woman, gets her big break in a creative field, leaves her humble origins behind, and, with wide-eyed naiveté, ventures into the ruthless world of commercialised art. From any of the four screen iterations of A Star Is Born to Anne Sewitzky's recent Black Mirror turn Rachel, Jack and Ashely Too, stardom seems to be pop-culture's ultimate poisoned chalice.

Given the formula's continued popularity and considering its potential for both nostalgic reappropriation and subversive reappraisal, it's hardly a surprising choice of mode for a first-time writer-director like Max Minghella, the son of the late Anthony Minghella of The English Patient and The Talented Mr. Ripley fame. However, Minghella's Teen Spirit, which had its world premiere just a week after Bradley Cooper officially launched his career as a director with his take on A Star Is Born, is a strangely featureless affair that doesn't so much put a spin on its well-worn subject as reiterate all the ways in which it has been deployed before.

The talented young person in question here is Violet (Elle Fanning), the daughter of Polish immigrants to the Isle of Wight, who enters a fuzzily outlined multi-round musical talent show called "Teen Spirit" with the help of Vlad (an endearing Zlatko Burić), a washed-up Croatian opera star who now spends his days getting drunk at the local pub. But as Violet progresses through the increasingly competitive contest on the merits of her raw singing talent – and in spite of her pious mother's initial objections – a tender friendship starts to bud between her and her mentor.

Violet (Elle Fanning), a shy immigrant teenager on the Isle of Wight, has a passion for singing.
© Ascot Elite
If any of this sounds like somewhat ramshackle plotting, it's because it is. In what is probably an attempt to offer a more nuanced view on the established stardom narrative, Teen Spirit seems unwilling, or unable, to settle on a coherent framing of Violet's situation and ends up being frustratingly devoid of theme, ticking narrative boxes without any of the emotional pay-off that should go with it.

There are elements of a story about immigration and bridging cultural gaps here, mixed into a tale of rural authenticity clashing with the phoniness of the big city, colliding with a cautionary tale about the corrupting power of fame, which stands side by side with scenes depicting the sheer joy of following one's dream and making people happy in the process. With a truly extraordinary script and breathtakingly nimble direction, this Frankensteinian construct could be turned into a meaningful, multi-layered exploration of stardom that manages to break through all the clichés that have piled up over the decades. But this is not that script, and Minghella is not that director yet.

A former opera star (Zlatko Burić) helps Violet train for a national singing competition.
© Ascot Elite
As is, Teen Spirit is a well-meaning but clumsy mishmash of ideas and topics, of which none are given the time and space they would have needed to make any kind of impact. Violet's identity as a British teenager of Polish origin is reduced to a few instances of code-switching and her pensively gazing at her cross necklace, while her rustic character mainly manifests itself in an aversion to makeup and a severely underwritten relationship with a pet horse.

Add to that a group of vaguely evil record label executives, the kind of jumpy dramaturgy that causes significant character development to take place off-screen in between scenes, a series of uninspiring musical numbers, whose canned and muffled soundscapes make the live performances of Cooper's equally flawed A Star Is Born seem like great cinema, and an ending that feels like the film ran out of breath on the home stretch, and you end up with something that is far more flat and generic than a movie called Teen Spirit has any right to be.

★★

Mittwoch, 7. August 2019

Le daim

© Praesens Film

★★★

"Wer also im Vorfeld zu viel Recherche betrieben hat, wird sich am Ende wahrscheinlich wünschen, dass Dupieux seine Liebe zur Absurdität hier auf abenteuerlichere Art und Weise ausgelebt hätte. Und tatsächlich wirkt Le daim im Vergleich zu einer Brecht’schen Tour de force wie Au poste! ein wenig wie eine Ideenskizze, an der noch länger hätte gefeilt werden können. Aber selbst in Skizzenform ist es eine Freude, Dupieux bei der Arbeit zuzuschauen – auch weil er das dumpfe Gefühl, einem unvollendeten Werk beizuwohnen, zu seinem Vorteil nutzt."

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Sonntag, 4. August 2019

Once Upon a Time in Hollywood

© Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH

★★★

"In allzu ausladenden zweieinhalb Stunden entwirft Tarantino hier ein märchenhaft überzeichnetes, oft sehr witziges Sittengemälde eines Schauplatzes, der zum amerikanischen Mythos geworden ist. Mit unverhohlener Nostalgie – und ohne viel kritische Distanz – trauert er der Kultur nach, die im Zuge von New Hollywood und den Manson-Morden untergegangen ist."

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Dienstag, 30. Juli 2019

The Lion King

Vor langer, langer Zeit – Anfang 2006 – fand irgendwo in einer Disney-Chefetage eine Strategiesitzung statt, die heute beinahe symbolträchtig wirkt: Es hätte die Weichen für die künstlerische Zukunft des Unterhaltungsmagnaten stellen sollen, doch seine Ergebnisse erwiesen sich schliesslich als kapitale Fehlkalkulationen.

Es war das Jahr, in dem Disney die Animationsschmiede Pixar aufkaufte und mit Ed Catmull und John Lasseter zwei Pioniere der Computeranimation an die Spitze der altehrwürdigen Walt Disney Animation Studios berief. Nicht nur hatten beide, als sie zu Disney kamen, bereits einmal als Pixar-CEOs gewaltet: Catmull hatte 1972 Geschichte geschrieben, als er mit der Kurzdokumentation A Computer Animated Hand das Potenzial der noch jungen digitalen Technologien aufzeigte. 23 Jahre später schuf Lasseter seinen eigenen Meilenstein, als er mit Toy Story den ersten komplett computeranimierten Langspielfilm überhaupt drehte.

Zum Zeitpunkt ihrer Berufung hatte Disney seit zwei Jahren keinen klassisch animierten Film mehr gemacht. Nach Home on the Range (2004) sollte damit endgültig Schluss sein – die Zeichentrick-Crews waren schon 2003 aus der Heimat von Mickey Mouse und Donald Duck entlassen worden. Doch diesem Paradigmenwechsel wollten Catmull und Lasseter Einhalt gebieten: Zu diesem Zweck holten sie sowohl die aufgelösten Arbeitsgruppen als auch die legendären Disney-Renaissance-Regisseure Ron Clements und John Musker – die Macher von The Little Mermaid (1989), Aladdin (1992) und Hercules (1997) – zurück an Bord und verkündeten eine neue Ära der Disney-Animation. Es ginge, so Lasseter, um "das Erbe des Studios".

Die Zeichentrick-Offensive entpuppte sich als Rohrkrepierer. Nicht mehr als zwei dieser Filme liess Disney noch auf Home on the Range folgen – das Prinzessinnenmärchen The Princess and the Frog (2009) und ein neues Winnie the Pooh-Abenteuer (2011). Kommerziell blieben beide Produktionen hinter den Erwartungen zurück, woraufhin man zum ursprünglichen Plan zurückkehrte und fortan ausschliesslich auf die 3-D-Karte setzte. Der Erfolg von computeranimierten Filmen wie Frozen (2013), Big Hero 6 (2014), Zootopia (2016) und Moana (2016, inszeniert von Clements und Musker) hat dem Studio zumindest wirtschaftlich Recht gegeben. "Wir haben die Ergebnisse analysiert und Umfragen gemacht", sagte Lasseter vor drei Jahren in einem Interview über das gescheiterte Zeichentrick-Projekt. "Das Publikum fand es zu altbacken."

Simba – der neue Prinz der Savanne.
© The Walt Disney Company (Switzerland) GmbH
Es lohnt sich, im Jahr 2019 auf diese Episode in der Disney-Historie zurückzublicken. Denn dieser zaghafte Versuch zweier Giganten des 3-D-Entertainments, Kostenoptimierung, Zielgruppen-Marketing und den Erhalt des amerikanischen Big-Budget-Zeichentrickfilms unter einen Hut zu bringen, war in vielerlei Hinsicht der Prolog zu Disneys neuestem Blockbuster-Konzept: Warum neuen Zeichentrick produzieren, wenn sein einziger zählbarer Wert die damit verbundene Nostalgie ist?

Zugegeben, es ist ein geniales Stück Box-Office-Alchemie, auf das Disney hier gestossen ist. Man nehme beliebte Stoffe aus dem eigenen Kanon – Dumbo (1941), Cinderella (1950) The Jungle Book (1967), Beauty and the Beast (1991), Aladdin, The Lion King (1994) –, lege die Kinderfilmklassiker mithilfe berühmter Schauspieler*innen und fortgeschrittener CGI-Technologie als "Realspielfilme" neu auf und Abrakadabra: Die inzwischen erwachsenen Fans der Originale strömen nostalgisch gestimmt – und im Idealfall samt Kind und Kegel – ins Kino, um die bekannten Geschichten in neuem Gewand zu erleben.

Doch inzwischen muss man doch die fast schon naiv anmutende Frage stellen, wo in dieser perfekt geölten Unterhaltungsmaschinerie die Kunst geblieben ist. Das soll, wohlverstanden, nicht als elitärer Aufruf zur philosophischen Nabelschau verstanden werden – mit Kunst ist hier vielmehr der Wert gemeint, über den eine Neuinterpretation unabhängig von ihrer Vorlage verfügt.

Der ungestüme Simba (Stimme: JD McCrary) hat viel von seinem Vater Mufasa (James Earl Jones) zu lernen.
© The Walt Disney Company (Switzerland) GmbH
Unter den sogenannten "Disney-Live-Action-Remakes" war das bislang zumindest einigermassen gegeben: The Jungle Book (2016) war mit seiner interessanten 3-D-Interpretation von anthropomorphen Tieren eine neuartige Kuriosität, die mit einer Handvoll hervorragender Sprechleistungen von Darstellern wie Idris Elba und Christopher Walken über Jon Favreaus steife Inszenierung hinwegtäuschen konnte. Tim Burtons Dumbo (2019) erweiterte die ursprüngliche Geschichte auf unsinnige, aber zweifellos unerwartete Weise. Bill Condons Beauty and the Beast (2017) und Guy Ritchies Aladdin (2019), die bis dato wohl Unkreativsten ihrer Art, liessen wenigstens in gewissen Momenten eine kritische Auseinandersetzung mit dem Original erkennen.

Mit The Lion King, Favreaus zweitem Disney-Remake, wurde der Bogen nun aber überspannt. Die Wiederauflage des vielleicht populärsten Disney-Renaissance-Titels ist zugleich eine perverse Perfektionierung der "Zeichentrick als vermarktbare Nostalgie"-Formel und eine ästhetische Bankrotterklärung.

Es beginnt bereits damit, dass zwischen der Version von 1994 und jener von 2019 nur bedingt ein Medienwechsel stattgefunden hat. Aus zweidimensionalem Zeichentrick wurde hier nicht ein mit digitalen Tricks angereicherter Realspielfilm, sondern ein fotorealistischer 3-D-Animationsfilm, der sich als "Live-Action" ausgibt: Die Löwen, die hier um die Herrschaft über die Savanne ringen, sehen – besonders in der Totale – täuschend echt aus, bestehen aber ebenso wenig aus Fleisch und Blut wie ihre gezeichneten Vorgänger. Aus Animation wurde Animation, die sich nicht als solche zu erkennen gibt.

Simba trifft seine neuen Freunde, Erdmännchen Timon (Billy Eichner) und Warzenschwein Pumbaa (Seth Rogen).
© The Walt Disney Company (Switzerland) GmbH
Das heisst nicht, dass dreidimensionale Animation grundsätzlich ein Problem ist, hat Disney mit Filmen wie Bolt (2008) und Tangled (2010) sowie seiner Kollaboration mit Pixar doch selber seinen Teil dazu beigetragen, dass sich die Computeranimation verdientermassen als essenzielle Trickfilm-Disziplin etablieren konnte.

Doch Animation kommt von "animare", dem lateinischen Wort für "Leben einhauchen". Es ist das Medium, in dem leblose Objekte lebendig werden können, in dem das Unmögliche möglich gemacht wird. Mit der Musical-Anthologie Fantasia (1940) hat Disney, noch unter der Ägide von "Onkel" Walt Disney höchstpersönlich, einen ganzen Film über diese Magie der Animation gedreht – versinnbildlicht durch Mickey Mouse, der als Goethes Zauberlehrling einen Besen zum Leben erweckt. Wollte man die Metapher auf aktuelle Disney-Produktionen ausweiten, wäre Favreaus Lion King wohl das, was dabei herauskommt, als Mickey die Kontrolle über sein wandelndes Haushaltsutensil verliert.

Der gezeichnete Lion King von 1994 funktioniert visuell, weil die sichtbare Künstlichkeit seiner Animation fester Bestandteil des ästhetischen Konzepts ist. Mit viel Aufwand wurden während der Produktion Löwen und andere Tiere studiert, um sie möglichst originalgetreu – also nicht anthropomorphisiert – darzustellen, bevor sie expressiv koloriert und in eine mit Gesangseinlagen durchsetzte Handlung geworfen wurden, die sich an westafrikanischen Epen und Shakespeares Hamlet orientierte. Die Realität savannischen Lebens war Bestandteil des Films, aber nicht dessen Dreh- und Angelpunkt – den Löwen wurde (menschliches) Leben eingehaucht.

Simba, seine beste Freundin Nala (Shahadi Wright Joseph) und Königsberater Zazu (John Oliver) sind das Resultat fortgeschrittenster CGI-Technik.
© The Walt Disney Company (Switzerland) GmbH
Bei Favreau hingegen soll die Animation dermassen lebensecht sein, dass sie das Publikum vergessen lässt, dass es sich bei den Löwen auf der Leinwand nicht um echte Tiere handelt. Doch weil das Remake in allen anderen Belangen eine mehr oder weniger exakte Kopie des Originals ist – einschliesslich Songs und Shakespeare'scher Intrigen –, öffnet sich zwischen Anspruch und Resultat, zwischen Ästhetik und Inhalt, ein unüberbrückbarer Graben: Diesem Lion King wird Leben entzogen statt eingehaucht. Die einst so mitreissende Geschichte um den Löwenprinzen Simba (hier gesprochen von JD McCrary und Donald Glover), seinen Vater Mufasa (James Earl Jones, wie bereits 1994) und seinen hinterlistigen Onkel Scar (herausragend: Chiwetel Ejiofor) ist eine leb- und seelenlose CGI-Werkschau geworden.

Es ist eigentümlich faszinierend, wie langweilig ein Familienmelodram plötzlich werden kann, wenn es von Figuren vorgetragen wird, die im Namen von zoologischer Akkuratesse der Fähigkeit beraubt werden, Emotionen zu zeigen und zwei Stunden lang, ungeachtet des psychischen Befindens, das gleiche ausdruckslose Löwen-Pokerface tragen. Beim finalen Kampf zwischen Gut und Böse fällt es in der Hitze des Gefechts sogar schwer, die Kontrahenten auseinanderzuhalten.

Scar (Chiwetel Ejiofor) will Mufasa die Herrschaft über die Savanne abjagen.
© The Walt Disney Company (Switzerland) GmbH
Diese visuellen Voraussetzungen, zu denen auch ein frustrierend konservativer Gebrauch von Farbe gehört, verwandeln gerade die Musicalnummern in bemühte und bemühende Angelegenheiten, da fotorealistische Tiere verständlicherweise nicht in sonderlich aufwändige Choreografien verwickelt werden können, ohne dass ihnen dabei die Realitätsnähe abhandenkommt. Also wird hier vorab en passant gesungen: Scar stolziert an seinen Hyänen-Komplizen vorbei und bellt unmusikalisch ein paar Fetzen von "Be Prepared" in die Runde; Simba, Erdmännchen Timon (Billy Eichner) und Warzenschwein Pumbaa (Seth Rogen) trällern den Wohlfühlsong "Hakuna Matata" vor sich hin, während sie in einer gänzlich ereignislosen Sequenz einen Waldweg entlangschlendern. Irgendwann wird noch ein austauschbarer neuer Song von Beyoncé, die Simbas Freundin Nala ohne erkennbaren Enthusiasmus spricht, eingespielt.

So bemüht der Film auch ist, sich vor dem Original zu verneigen, so sehr bleibt zum Schluss das Gefühl, die beste Hommage wäre eine Absage – oder wenigstens eine Neukonzeption – des Remakes gewesen. The Lion King ist der erste Eintrag in die nicht eben ruhmreiche Franchise der modernen Disney-Remakes, der nicht im Geringsten dazu fähig ist, auf eigenen Beinen zu stehen. Es gibt keinen Moment in Favreaus Film, der im Vergleich zum Original über einen Mehrwert verfügt – keine Innovation, keine Bereicherung, keine anregende alternative Interpretation, und damit keinen Grund, diese Version der gezeichneten jemals vorzuziehen.

"Sag mir, wo die Emotionen sind. Wo sind sie geblieben?"
© The Walt Disney Company (Switzerland) GmbH
The Lion King ist filmgewordene Nostalgie – ein gnadenloser autokannibalistischer Akt – und damit vielleicht die logische Konsequenz dessen, was Ed Catmull und John Lasseter im Zuge ihrer Zeichentrick-Offensive widerfahren ist. Sie beriefen sich auf "das Erbe von Disney", initiierten den Neubeginn der Disney-Zeichentrickkultur, wurden von den Gewinnmargen ihrer Versuche enttäuscht und kehrten zum kommerziellen Erfolg der Computeranimation, deren Geburtshelfer sie einst gewesen waren, zurück.

Und nun verwaltet der Disney-Koloss sein Erbe auf seine eigene Art: Wenn sich die alten Formen nicht mehr rentieren, lässt man die wehmütigen Erinnerungen daran eben mit CGI-Technologie gewinnbringend wiederauferstehen. Die Rechnung scheint an den Kinokassen aufzugehen – auch ohne eigenständigen künstlerischen Wert. Stimmen die Zahlen, wird es so weitergehen. Schwierig, hier nicht an den Zauberlehrling zu denken, der seinen lebenden Besen Einhalt gebieten will: "Immer neue Güsse / Bringt er schnell herein, / Ach! und hundert Flüsse / Stürzen auf mich ein."