Doch in Greta Gerwigs Little Women, der insgesamt siebten Verfilmung des gleichnamigen Romans von Louisa May Alcott aus dem Jahr 1868, bleiben die Frauen – es sind die March-Schwestern Jo (Saoirse Ronan), Meg (Emma Watson), Amy (Florence Pugh) und Beth (Eliza Scanlen) – nicht in dekorativer Steife an Ort und Stelle stehen, ehren nicht die Kostümfilm-Tradition, die Menschen, insbesondere Frauen, in sprechende Kleiderständer verwandelt. Stattdessen werfen sie sich, ohne jede Rücksicht auf die exquisiten Schauwerte, auf- und übereinander, rangeln, zanken, schreien, lachen und vermitteln so unmissverständlich eine genreuntypische Lebendigkeit: In diesen aufwändig hergerichteten Kleidern und unter den extravaganten Hüten stecken fühlende, denkende Körper.
Diese scheinbar simple Botschaft ist programmatisch für den Film – und von forscher, erhebender Radikalität, die keinen Zweifel über die Notwendigkeit zulässt, Alcotts Geschichte vom Aufwachsen der Marchs ein weiteres Mal zu erzählen. Gerwig, die bereits mit Lady Bird (2017) einen essenziellen weiblich geprägten Coming-of-Age-Film gedreht hat, spitzt die Buchvorlage zu, indem sie ihre Chronologie aufbricht: Durchlief bei Alcott das zentrale Schwesterngespann seinen Weg ins Erwachsenenalter von Kapitel und Kapitel – unterstützt von der moralischen Unterweisung ihrer Mutter Marmee (hier gespielt von Laura Dern) –, kreuzen sich in dieser Version immer wieder Szenen aus der unbeschwerten Kindheit mit der ernüchternden Realität, eine Frau im 19. Jahrhundert zu sein.
Kaum hat die junge Amy im goldenen Licht der New-England-Heimatidylle ihren Wunsch ausgesprochen, Malerin zu werden, findet man sich in ihrem gräulich tristen Kunstschulatelier wieder, wo sie ihrem alten Freund Laurie (Timothée Chalamet) ihr Leid klagt: Wenn sie nicht die beste Künstlerin ihrer Generation werden kann, hat es auch keinen Sinn, es weiter zu versuchen – die männlichen Hüter des Pantheons werden sich ihrer nicht erbarmen.
Gerwigs herausragendes Drehbuch ist voll von solchen Momenten, welche die gesellschaftlichen Bedingungen im Amerika der Bürgerkriegszeit aufgreifen und sie, ohne je an historischer Authentizität einzubüssen, die brennenden Diskurse der Gegenwart widerspiegeln lassen. Es ist erschreckend – aber eben auch wenig überraschend –, wie sehr das Bild der angehenden Schriftstellerin Jo, der designierten Hauptfigur, die einem arroganten Verleger (Tracy Letts) faire Entlöhnung und angemessene Gewinnbeteiligung aus den Rippen leiern muss, mit dem der aktuellen Debatten um geschlechterspezifische Lohnungleichheit doch ähnelt. Und wenn Amy und Laurie darüber diskutieren, wem die Deutungshoheit über Genie obliegt ("Well, men, I suppose"), ist es schwer, nicht an Gerwig selbst zu denken, der die überwiegend männliche Academy eine Nomination für den Regie-Oscar vorenthielt – wie auch ihren nicht minder auszeichnungswürdigen Kolleginnen, von Céline Sciamma und Lulu Wang bis Alma Har'el und Marielle Heller.
Als Erwachsene versucht Amy, sich die in der von Männern dominierten Kunstwelt durchzusetzen. © Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH |
Um der komplexen Fülle dieser Leben gerecht zu werden, macht sich Gerwig die ganze Bandbreite der Gefühle zunutze. So dient die episodische Struktur nicht nur der gesellschaftspolitischen Relevanz des Films, sondern trägt auch wesentlich dazu bei, dass Little Women ein tief berührendes, ungemein witziges und streckenweise unbeschreiblich tragisches Kinoerlebnis ist, in dem es nicht immer leicht fällt, zwischen Tränen der Trauer und Tränen der Freude zu unterscheiden.
Jo strebt eine Karriere als Autorin an. © Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH |
Dass letzten Endes natürlich jeder dieser Ansätze ein Grund für die schiere Wirkungskraft dieser und vieler weiterer Szenen ist, darin liegt die Brillanz von Little Women. Gerwig ist ein Werk von atemberaubender thematischer und emotionaler Vielschichtigkeit gelungen – ein warmes, grosszügiges Meisterstück der bissigen Subversion. Ob die Academy es nun wahrhaben will oder nicht: Diesem Kino gehört die Zukunft.
★★★★★
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