Donnerstag, 31. Dezember 2020

Kinojahr 2020: Top 10

1
UNCUT GEMS
(Josh Safdie, Benny Safdie, USA)

2
LOVERS ROCK
(Steve McQueen, Grossbritannien/USA)

3
LITTLE WOMEN

(Greta Gerwig, USA)

4
I'M THINKING OF ENDING THINGS
(Charlie Kaufman, USA)

5
ABOUT ENDLESSNESS
(Om det oändliga, Roy Andersson, Schweden/Deutschland/Norwegen)

6
KNIVES OUT
(Rian Johnson, USA)

7
NEVER RARELY SOMETIMES ALWAYS
(Eliza Hittman, USA/Grossbritannien)

8
THERE IS NO EVIL

(شیطان وجود ندارد, Mohammad Rasoulof, Iran)

9
THE ASSISTANT
(Kitty Green, USA)

10
FIREBALL: VISITORS FROM DARKER WORLDS
(Werner Herzog, Clive Oppenheimer, Österreich/Grossbritannien/USA)




HONOURABLE MENTIONS
  • A Beautiful Day in the Neighborhood (Marielle Heller)
  • Borat Subsequent Moviefilm: Delivery of Prodigious Bribe to American Regime for Make Benefit Once Glorious Nation of Kazakhstan (Jason Woliner)
  • Corpus Christi (Jan Komasa)
  • Days of the Bagnold Summer (Simon Bird)
  • Kajillionaire (Miranda July)

Mittwoch, 30. Dezember 2020

Lovers Rock

© Amazon Prime/Des Willie/BBC/McQueen Limited

★★★★★

"Mit einer Laufzeit von nur 68 Minuten ist der Film so flüchtig wie die Erfahrung, die er – ungemein erfolgreich – abzubilden versucht. Doch so wie die zahlreichen Figuren wohl bis zum nächsten Wochenende von den Erinnerungen an Samstagnacht zehren werden, so setzt sich «Lovers Rock» mit seiner hypnotisch unmittelbaren Inszenierung im Gedächtnis fest."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Sonntag, 27. Dezember 2020

ONE FOR YOU: Best of 2020


2020 is drawing to a close, and Olivia Tjon-A-Meeuw gathered Astrit Abazi and me in front of our respective microphones in order to talk about our favourite movies of the year. Listen in on Spotify or wherever you get your podcasts, which films we picked, what we think of each other's choices, and who is objectively right.

Donnerstag, 24. Dezember 2020

Maximum Cinema Filmpodcast #15: Merry (M)X(C)mas mit "The Nightmare Before Christmas", "Elf" und unseren Lieblingsfilmen 2020!

© Olivier Samter

Die letzte Maximum Cinema-Podcastepisode des Jahres 2020 steht, nach obligaten Pandemie-News, ganz im Zeichen von Weihnachten und Neujahr: Olivier hat Daniel, Lola und mich dazu gebracht, mit The Nightmare Before Christmas (1993) und Elf (2003) zwei seiner Lieblings-Weihnachtsfilme zu schauen. Und danach lassen wir alle unsere Lieblingstitel der letzten zwölf Monate Revue passieren – wobei sich Daniel als Ideendieb entpuppt. Der Podcast ist auf allen gängigen Plattformen verfügbar.

Mittwoch, 23. Dezember 2020

Ma Rainey's Black Bottom

Eine bearbeitete Version dieser Kritik ist auch auf Maximum Cinema erschienen.

Mit dem oscarprämierten Fences (2016) und einem inzwischen arg verwässerten HBO-Deal hat sich Denzel Washington zum inoffiziellen Verwalter des künstlerischen Erbes des legendären afroamerikanischen Dramatikers August Wilson aufgeschwungen. George C. Wolfes Netflix-Titel Ma Rainey's Black Bottom, der von Washington produziert wurde und ursprünglich Teil einer längeren HBO-Reihe von Wilson-Verfilmungen hätte sein sollen, zeigt, dass dieses Arrangement ein zweischneidiges Schwert ist.

Um zu verstehen, was sich Washington unter einer angemessenen Leinwandinterpretation eines Wilson-Stücks vorstellt, genügt ein Blick hinter die Kulissen von Fences, seiner eigenen Adaption des gleichnamigen Tony-Gewinners von 1985: "Die Stars des Films sind das Skript und August Wilsons Worte", nannte Koproduzent Todd Black das Motto bei den Dreharbeiten. Washingtons zentrale Regieanweisung an jedes Crewmitglied war unmissverständlich: "Don't make any decision without August Wilson's words leading you to make that decision." Wilson, der zu diesem Zeitpunkt schon rund zehn Jahre tot war, wurde als alleiniger Drehbuchautor aufgeführt.

Das Ziel dieser Ergebenheit vor dem Originaltext ist so verständlich wie legitim: Indem er ihn durch das Massenmedium Film einem breiteren Publikum möglichst "ungefiltert" bekannt macht, will Washington Wilsons Platz im Pantheon des zeitgenössischen amerikanischen Theaters zementieren und dafür sorgen, dass er im kollektiven Bewusstsein nicht mehr von weissen Autoren wie David Mamet (Glengarry Glen Ross) oder Tony Kushner (Angels in America) überschattet wird. Unter diesem Gesichtspunkt darf Fences, ein textlich dichtes Kammerspiel mit einem herausragenden Schauspielensemble, als durchschlagender Erfolg bezeichnet werden.

Ma Rainey (Viola Davis) ist der grösste Blues-Star der Zwanzigerjahre.
© David Lee/Netflix

Gleichzeitig ist der Film aber alles andere als ein Meisterwerk der Inszenierung. Washingtons Regie ist dermassen funktional, dass sie sich kaum von jener einer aufwendigen Theater-Aufzeichnung unterscheidet. Wären die Darsteller*innen, insbesondere Viola Davis, Stephen McKinley Henderson und Washington selbst, weniger einnehmend, wäre Fences weniger eine Hommage an die Dynamik und die anhaltende Relevanz von Wilsons Schaffen als eine sperrige und letztlich inkommensurable Annäherung an ein Live-Erlebnis.

Warum das für Ma Rainey's Black Bottom von Belang ist? Weil George C. Wolfes Wilson-Verfilmung ist aus dem gleichen Holz geschnitzt ist wie Fences. Washington mag hier nur produziert haben, das Drehbuch mag Ruben Santiago-Hudson zugeschrieben werden – doch auch dieser Film rekonstruiert mehr als er adaptiert.

Abgesehen von ein paar evokativen langen Einstellungen und der einen oder anderen kreativen Ausleuchtung, ist es das Quellenmaterial, das in Ma Rainey den Ton angibt. Die Geschichte von Ma Rainey (Viola Davis), der herrischen "Mother of the Blues", die im Chicago der Zwanzigerjahre zusammen mit ihrer eingespielten Band (Colman Domingo, Glynn Turman, Michael Potts) und einem aufmuckenden Trompetenspieler (Chadwick Boseman) ein Album aufnehmen muss, wird mitsamt aller bühnenspezifischen Eigenheiten aus Wilsons Stück übernommen, wobei besonders die seitenlangen Monologe herausstechen, in welche die Figuren in entscheidenden Momenten spontan verfallen. Auch fällt auf, wie scheinbar ziellos Tobias A. Schliesslers Kamera umherirrt, wie willkürlich Andrew Mondsheins Schnitt wirkt, sobald kein Redegefecht auf dem Programm steht.

An einem heissen Sommertag muss Ma Rainey in Chicago ein Album aufnehmen.
© David Lee/Netflix

Wie schon bei Fences hat aber auch diese eiserne Konzentration auf den Text ihren Reiz – und auch Ma Rainey, immerhin inszeniert von einem gelernten Theaterregisseur und 45 Minuten kürzer als Washingtons Wilson-Monument, erfüllt seinen Zweck. Es ist wahrlich beeindruckend, einmal mehr Wilsons Qualität als literarischer Chronist des afroamerikanischen Lebens im 20. Jahrhundert vorgeführt zu bekommen. Anhand des frühen Musik-Superstars Ma Rainey verhandeln Wilson und Santiago-Hudson die weisse Vermarktung schwarzer Kunst, die nicht selten in der historischen Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung verwurzelt ist. In einem der ersten längeren Gespräche des Films diskutieren Bandleader Cutler (Domingo), Pianist Toledo (Turman), Bassist Slow Drag (Potts) und Trompeter Levee (Boseman) darüber, ob es überhaupt einen Unterschied gibt zwischen dem höflichen Respekt, den sie ihren weissen Arbeitgebern aus finanziellen Gründen entgegenzubringen haben, und der Angst, die sie aufgrund von Lynchmobs und Alltagsrassismus seit ihrer Kindheit begleitet.

Eine der grossen Stärken von Ma Rainey ist, dass es ihm gelingt, diese gesellschaftlichen Fragen in einen Zusammenhang mit der kulturellen Vormachtstellung des "weissen Geschmacks" zu stellen. Es ist die perfide "Kuratierung" schwarzer Kultur – etwa das begrenzte Privilegieren einzelner Künstler*innen oder die zynische Aneignung, sozusagen das Whitewashing, gewisser Innovationen –, die dafür gesorgt hat, dass in den multikulturellen, multiethnischen Vereinigten Staaten bis heute von einem weissen Mainstream ausgegangen wird.

Die allerbesten Szenen des Films sind die, in denen hinter das schwierige, ja arrogante Gehabe der grossen titelgebenden Diva geblickt wird: Starallüren mögen ein Teil davon sein; aber wer sich als unabhängige schwarze, bisexuelle Frau im US-Showbusiness der Zwanzigerjahre behaupten will, muss sich jener Druckmittel bedienen, die ihr zur Verfügung stehen. Ma Rainey ist sich bewusst, dass ihre Figur und ihre Stimme Handelswaren sind, also zieht sie (noch) einen Nutzen daraus, sich rar zu machen: Wer zu spät zu Albumaufnahmen erscheint und sich unnahbar verhält, lässt den weissen Managern und Studiobesitzern (hier vertreten durch Jeremy Shamos und Jonny Coyne) weniger Zeit, einem ins Handwerk zu pfuschen – und zögert den Moment heraus, in dem das Label, Schallplattentechnik sei Dank, auch ohne Künstlerin Profit aus ihrem Gesang schlagen kann.

In den Aufnahmepausen entladen sich die Konflikte unter den Bandmitgliedern Levee (Chadwick Boseman, 2.v.l.), Cutler (Colman Domingo, rechts), Toledo (Glynn Turman, links) und Slow Drag (Michael Potts).
© David Lee/Netflix

Die allzu bühnengetreue Inszenierung des Stoffs, welche die Erörterung dieser Themen bisweilen etwas gar didaktisch wirken lässt, findet ihre Rettung in einem Cast, der dem von Fences in nichts nachsteht. Viola Davis unterläuft mit ihrer lauten, offenherzig erotischen Ma Rainey das gewissenhaft-propere Image, das ihr in Filmen wie Doubt (2008), The Help (2011) und, ja, Fences angedichtet wurde. Chadwick Boseman, in seiner letzten Rolle vor seinem Krebstod im August dieses Jahres, begeistert als geradezu manischer Levee vor allem dann, wenn er sich mit den ruhiger agierenden Domingo, Turman und Potts auseinandersetzt und sich dabei an der unscharfen Grenze zwischen freundschaftlichem Sticheln und ernsthaften Anwürfen zurechtfinden muss.

Es sind diese einfühlsamen und vielschichtigen Interpretationen von Wilsons faszinierenden Figuren, die einen handwerklich blassen Film zu einer sehenswerten Theateradaption machen. Doch sie täuschen auch nicht darüber hinweg, dass man den wegweisenden Werken des grossen Dramatikers Verfilmungen wünschen würde, die über ehrfürchtiges Rezitieren hinausgehen.

★★★

Montag, 14. Dezember 2020

City Hall

There may be no greater testament to the power of veteran documentarian Frederick Wiseman's craft than the sequence heralding the home stretch of his latest.

Arriving roughly 200 minutes into the four-and-a-half-hour behemoth that is City Hall, a quietly fascinating exploration of the inner and outer workings of Boston's city government, it finds Wiseman and his long-standing cinematographer John Davey sitting in on a polite but animated community centre discussion about the potential impacts the opening of a cannabis dispensary might have on the majority-Black neighbourhood of Dorchester.

Featuring the businessmen spearheading the venture, citizens concerned about what such a store might do to anything from the traffic situation to employment opportunities, a state rep standing in for her constituents, and city representatives outlining the city's role as a mediator, the 45-minute sequence plays out like a standalone documentary featurette. Arguments are heard, rebuttals are made, neat corporate visions are confronted with the lived experience of those to whom the business should eventually cater to. As the debate deepens, it starts touching on some of the most salient rifts in contemporary America – such as mass incarceration, income inequality, and the question whether governments, at any level, are willing and able to enact change that is commensurate with the needs of the people most affected.

It's a stunning passage, one of the most engrossing that cinema has had to offer in 2020. That Wiseman lets it – and the film that surrounds it – run to the length that they do is by no means an exercise in non-conformist affectation. Rather, the decision is wholly in service of what makes Wiseman such an essential artist of the non-fiction format, and, at almost 91, possibly better equipped to tackle the current era than many of his younger peers: more than anything, his institutional portraits – whether they are dedicated to places of art (Ballet, National Gallery), education (High School, At Berkeley), or politics (State Legislature), or to entire towns (Monrovia, Indiana) – display a profound belief in the power of extensive engagement to gain a new perspective on the everyday processes that dictate our world.

Boston mayor Marty Walsh serves as City Hall's de facto protagonist.
© Zipporah Films

Just as there was a certain poetry in making a film about the New York Public Library at the outset of the Trump presidency, there is irony and poignancy in making a purely observational documentary like City Hall at a time where it feels like American democracy is unravelling at the seams. Indeed, it could almost seem frivolous to cast local government in as positive a light as Wiseman does here, given that, thanks to virulent disinformation, radical polarisation, rampant corruption, and a Republican Party who has fully embraced near-fascist far-right populism, trust in the efficacy and fundamental good will of government is at an historic low.

However, this is where Wiseman's approach pays dividends, for while there is precious little politics in City Hall – though Boston Mayor Marty Walsh, sort of a protagonist-by-default, offers his fair share of speechifying – there is a lot of policy, of the slow, unspectacular, but ultimately indispensable let's-schedule-a-meeting-and-talk-things-over kind. In fact, it doesn't take long for it to become obvious that the film's title, by Wiseman's standards, has to be understood more as a metaphor than a strictly programmatic scene setter.

Over the course of 274 utterly enthralling minutes, "city hall" comes to encompass the entirety of Boston's civic apparatus, which does include the usual markers of small-scale bureaucracy – citizen information hotlines, registry offices, traffic court, and other sources of day-to-day exasperation – and larger-scale government activity, most notably in the form of Walsh's frequent public-speaking engagements and meetings with selected heads and representatives of various departments.

Debate is the heart of democracy.
© Zipporah Films

At the same time, however, City Hall is careful to stress both the importance of an active populace to working governance as well as the small deeds that often go unnoticed in the discourses surrounding civil service, drowned out by the echoes of Ronald Reagan's withering "I'm from the government and I'm here to help" laugh line. As the film builds up to the quasi-climactic cannabis shop debate, much of its runtime is dedicated to other kinds of public outreach initiatives, which range from housing assistance to Veterans Day get-togethers, and events where practical problems are tackled with good-faith discussions about how to best apply limited resources to the broadest possible benefit – be that an anti-eviction task force deliberating on best practices to combat homelessness, or a meeting on school admissions that ends up turning on the scarcity of available accommodations.

There is something utopian about this patient and uncynical depiction of a relatively well-functioning public service undergirded by an involved polity, even as it struggles to stave off the dysfunction seeping in from Washington D.C. (Walsh, a veteran Democrat who assumed the mayoral office in 2014, references the difficulty of dealing with the current federal government several times.) In the ultimate instance of form following function – and without ever invoking the glorified myth of harmonious bipartisanship – City Hall makes the unfashionable case for spirited, meticulous, fact-based, long-form debate as perhaps the single most crucial pillar of democracy, American or otherwise. Although it may prove a difficult entry point to newcomers to Wiseman's work, due to its unwieldy length, it is an unassumingly riveting reminder that, nigh on 60 years into his filmmaking career, the man is still sharpening his craft.

★★★★★

Samstag, 12. Dezember 2020

Mangrove

© Des Willie/BBC/McQueen Limited

★★★★

"Das mag wie die britische Entsprechung von Aaron Sorkins wortgewaltigem The Trial of the Chicago 7 (2020) klingen, erweist sich aber rasch als ein in jeder Hinsicht überlegenes Werk. Wo Trial Figuren, Politik und Kontext auf leicht verdauliche Karikaturen herunterbrach, zeigt Mangrove Mut zur Komplexität."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Donnerstag, 10. Dezember 2020

The Midnight Sky

© Netflix / Ascot Elite

★★★

"Das Drama wirkt wie ein Querschnitt des introspektiven Hollywood-Science-Fiction-Kinos der letzten Jahre: hier der Protagonist in Endzeitstimmung aus Ad Astra (2019) und die extremen Überlebenskunststücke aus The Martian (2015), dort die hemdsärmelig-amerikanischen Tugenden und die Liebe zum hölzernen Plot-Twist, wie man es aus Interstellar (2014) und Arrival (2016) kennt. Die Mischung weiss durchaus zu gefallen."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Mittwoch, 9. Dezember 2020

Maximum Cinema Filmpodcast #14: Die Samichlaussack-Episode, feat. "Advent, Advent", "Fatman", "If Anything Happens I Love You" und "The Midnight Sky"

© Olivier Samter

Wie viele Themen können in einer Episode des Maximum Cinema-Podcasts verhandelt werden? In Folge 14 machen Daniel, Lola, Olivier und ich die Probe aufs Exempel und diskutieren über die neue SRF-Miniserie Advent, Advent, den seltsamen Weihnachts-Actionfilm Fatman mit Mel Gibson als Santa Claus, den seichten Netflix-Kurzfilmhit If Anything Happens I Love You sowie George Clooneys Science-Fiction-Drama The Midnight Sky. Zudem widme ich dem frischgekrönten Solothurn-Ehrenpreisträger Frank Braun eine Laudatio und verweise auf die Klasse von Werner Herzogs neuem Film und Steve McQueens Small Axe-Anthologie. Der Podcast ist auf allen gängigen Plattformen verfügbar.

Mittwoch, 25. November 2020

Fireball: Visitors from Darker Worlds

© Apple TV+ © 2020 Apple Inc. All rights reserved.

★★★★

"Bald jedoch wird klar, dass Herzogs primäre Faszination weder den Meteoren an sich noch ihren makrohistorischen Auswirkungen gilt, sondern einmal mehr an den ganz kleinen Geschichten hängenbleibt. Wie schon in Rad der Zeit (2003), seiner Dokumentation über eine buddhistische Grossveranstaltung, ist das übergeordnete Thema von Fireball hauptsächlich ein Vehikel, um anhand von einzigartigen Begegnungen und unkonventionellen Gesprächen die schiere Vielfalt der menschlichen Existenz zu zelebrieren."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Dienstag, 24. November 2020

Maximum Cinema Filmpodcast #13: Johnny der Depp, "Mank", "Hillbilly Elegy", "The Assistant" und "The Queen's Gambit"

© Olivier Samter

In Folge 13 des Maximum Cinema-Podcasts fragen Olivier, Daniel, Lola und ich uns, wie es nach der Entlassung von Johnny Depp mit der Fantastic Beasts-Reihe weitergeht, bevor wir uns mit drei Filmen auseinandersetzen: Olivier und ich sprechen über Mank, wir sind uns nicht einig über Hillbilly Elegy, wohl aber über The Assistant. Und zuletzt empfiehlt Lola die Netflix-Miniserie The Queen's Gambit. Der Podcast ist auf allen gängigen Plattformen verfügbar.

Samstag, 21. November 2020

Dick Johnson Is Dead

© Netflix

★★★★

"Kirsten Johnsons filmische Annäherung an den quälend langsamen Verlust ihres Vaters – einerseits körperlich, aber insbesondere geistig – existiert haargenau an der Schwelle zwischen lebensbejahender Freude und abgrundtiefer Traurigkeit, gerade weil es die Situation so verlangt: Dick ist sich im Klaren darüber, dass er dereinst, wie schon seine Frau, in Kirstens Augen blicken und darin nichts ihm Bekanntes wiederfinden wird – doch er ist gleichzeitig noch mehr als luzid genug, um über seine Lage Witze reissen zu können und seiner Tochter und seinen Enkelkindern damit wertvolle Erinnerungen zu schenken."

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Montag, 16. November 2020

Kajillionaire

© 2020 Focus Features

★★★★

"Indem sie ihren Figuren auf Augenhöhe begegnet, schafft es July, trotz aller Absurdität eine zärtliche, tief berührende Geschichte über Old Dolios Auseinandersetzung mit Liebe, Loyalität und Identität in einer Welt zu erzählen, in der es allzu oft nur ums nackte Überleben zu gehen scheint. Unglaublich die Sequenz, in der ein sterbendes Betrugsopfer die verdutzten Protagonist*innen dazu auffordert, in seinem Haus Familie zu spielen."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Sonntag, 15. November 2020

ONE FOR YOU: "Hillbilly Elegy" & "Hale County This Morning, This Evening"


In the latest episode of the One for You podcast, Olivia Tjon-A-Meeuw and I discuss two markedly different explorations of rural America – Ron Howard's new Netflix melodrama Hillbilly Elegy, based on the bestselling memoir of the same name, and RaMell Ross' 2018 experimental documentary Hale County This Morning, This Evening. We liked one more than the other. Check out which one on Spotify or wherever you get your podcasts.

Donnerstag, 12. November 2020

Mank

© Netflix

★★★

"Doch obwohl sich Mank handwerklich auf höchstem Niveau bewegt – und der Film gerade Liebhaber*innen der Kinogeschichte immer wieder mit raffiniert eingebauten Details belohnt –, kann er sich niemals gänzlich von der fundamentalen Biopic-Problematik befreien. Die Finchers eröffnen, via der einnehmend widersprüchlichen Figur Herman Mankiewicz, einen durchaus anregenden Zugang zum überlebensgrossen Citizen Kane, fördern dabei aber kaum Neues zutage. Es entsteht nicht das Gefühl, Künstler oder Kunstwerk in einem neuen Licht zu sehen."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Dienstag, 10. November 2020

Maximum Cinema Filmpodcast #12: Sean Connery, Quibi, "Frieden", "Borat Subsequent Moviefilm"

© Olivier Samter

Daniel, Lola, Olivier und ich erweitern unseren Diskussionshorizont in Folge 12 des Maximum Cinema-Podcasts, indem wir endlich einmal eine TV-Serie besprechen – und zwar die heiss erwartete SRF-Miniserie Frieden von Michael Schaerer und Petra Volpe. Zudem trauert Olivier um Sean Connery, Lola blickt auf die Viennale zurück, Daniel wundert sich über den Streaming-Anbieter Quibi, und wir besprechen das Borat-Sequel Borat Subsequent Moviefilm. Der Podcast ist auf allen gängigen Podcast-Plattformen verfügbar.

Mittwoch, 28. Oktober 2020

Maximum Cinema Filmpodcast #11: James-Bond-Marathon, 8 Hours of Horror, "Beyto", "Babyteeth" und "The Trial of the Chicago 7"

© Olivier Samter

In Folge 11 des Maximum Cinema-Podcasts stellen Olivier und ich je einen Kino-Spezialanlass vor, bevor sich Daniel und Lola dazugesellen, um über die Filme der Woche zu diskutieren. Dieses Mal geht es um das Schweizer Liebesdrama Beyto, den australischen Coming-of-Age-Film Babyteeth und Aaron Sorkins Gerichtsdrama The Trial of the Chicago 7. Ausserdem: Abschweifungen über Horrorfilme, Wörter wie Jekami und Haribo sowie Lolas Vorschau auf die diesjährige Viennale.

Dienstag, 27. Oktober 2020

Borat Subsequent Moviefilm: Delivery of Prodigious Bribe to American Regime for Make Benefit Once Glorious Nation of Kazakhstan

© Amazon Prime Video

★★★★

"Die erzählerische Erdung wirkt Wunder. Borat Subsequent Moviefilm ist 15 Minuten länger als sein Vorgänger, weist aber trotz aller Improvisation eine komödiantische und emotionale (!) Stringenz an den Tag, die Borat nie erreichte. Geskriptete Szenen, in denen Vater und 'nicht-männlicher Sohn' ihre Differenzen austragen, geben den ungeskripteten und ungeskriptet scheinenden Momenten den nötigen Kontext – die Besuche in seltsamen Clubs und Institutionen, wo der nicht aus dem Konzept zu bringende Baron Cohen und die kongeniale Maria Bakalova Unruhe stiften, werden Teil einer überraschend anregenden Dramaturgie."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Donnerstag, 22. Oktober 2020

There Is No Evil

© Trigon Film

★★★★★

"Rasoulof erzählt, wie diese kafkaesken Verstrickungen das soziale Gefüge des Irans korrodieren. Von einem unspektakulären Tag im Leben eines unauffälligen Familienvaters (Ehsan Mirhosseini) arbeitet sich There Is No Evil vor zu einem intensiven Militär-Kammerspiel, einer reservierten Liebestragödie und schliesslich einem interkontinentalen Familiendrama. Der Bezug zur Todesstrafe wird mit jeder Geschichte abstrakter, das kollektive Trauma dafür umso konkreter."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Montag, 19. Oktober 2020

Maximum Cinema Filmpodcast #10: ZFF-Rückblick, "Eden für jeden", "Never Rarely Sometimes Always" und "There Is No Evil"

© Olivier Samter

Das 16. Zurich Film Festival ist vorbei und Daniel, Olivier und ich sprechen über unsere Highlights, bevor wir ein paar ZFF-Titel mit Schweizer Kinostart besonders hervorheben: Daniel und Lola diskutieren über die Schrebergarten-Komödie Eden für jeden, Daniel und ich über das iranische Drama There Is No Evil und wir alle über den herausragenden Never Rarely Sometimes Always. Folge 10 des Maximum Cinema-Podcasts ist überall erhältlich, wo es Podcasts gibt.

Samstag, 17. Oktober 2020

QUIET ON SET: Zurich Film Festival 2020 – Deep Dive


I joined Ewan Graf and Michelle Bernet from the Quiet on Set podcast for an in-depth discussion of the 16th Zurich Film Festival. Listen as we gush about Never Rarely Sometimes Always and Nomadland, trash Antebellum, and struggle to nail down what the intriguing Shirley is going for! You can find the episode on Anchor or wherever you get your podcasts.

Freitag, 16. Oktober 2020

Favolacce

Die D'Innocenzo-Zwillinge Fabio und Damiano haben nicht viel Sympathie für den gehobenen Vorstadt-Mittelstand übrig. Das ist der vielleicht stärkste Eindruck, den ihr neuestes Werk, das flickenteppichartige Familiendrama Favolacce, hinterlässt.

Darin nehmen die Regisseure von La terra dell’abbastanza (2018) eine anonyme Reihenhaussiedlung irgendwo in der Römer Agglomeration ins Visier, in der die gutbürgerlichen Träume von Familienglück und wirtschaftlicher Unabhängigkeit buchstäblich in einer Sackgasse gelandet sind.

Bei den Placidos hängt der Haussegen schief, weil Mutter Dalila (Barbara Chichiarelli) die Hauptverdienerin ist, während Vater Bruno (Elio Germano) sich aufgrund seiner Arbeitslosigkeit in seiner Männlichkeit gekränkt fühlt. Doch man will sich vor den befreundeten Nachbarn, insbesondere dem grossspurigen Pietro Rosa (Max Malatesta), keine Blösse geben, also prahlt man beim gemeinschaftlichen Grillabend mit den eigenen Kindern Dennis (Tommaso Di Cola) und Alessia (Giulietta Rebeggiani), die, anders als die verschlossene Viola Rosa (Giulia Melilio), in der Schule brillieren.

Alles ist Oberfläche, alles ist Performance. Man übt sich trotz gegenseitiger Verachtung in freundlicher Nachbarschaftlichkeit, weil sich das eben so gehört. Fake it till you make it. Die Protaginist*innen der D'Innocenzos haben sich so sehr von ihren eigenen Emotionen entfremdet, dass Momente, die sich nicht mit antrainierten Floskeln bewältigen lassen, wie groteske Farcen wirken: Als Dennis beinahe an einem Stück Fleisch erstickt, macht ein bizarrer Weinkrampf die Runde am Esstisch, bevor Bruno wutentbrannt von dannen zieht.

Die einzigen Figuren, die noch so etwas wie ein Innenleben übrig haben, sind die Kinder der Siedlung – doch auch sie sind von der gelangweilten Frustration ihrer Eltern nicht unverschont geblieben. Viola und Alessia werden zum Spielball der elterlichen Erwartungen, derweil sich Dennis' aufkeimende Sexualität – unterstrichen von Paolo Carneras mitunter voyeuristischer Kameraführung – darin äussert, der hochschwangeren Vilma (Ileana D’Ambra) hinterherzustarren.

Das sommerliche Vorstadtidyll trügt.
© Filmcoopi / Pepito Produzioni / Amka Film Production
Zum Glück kleiden Fabio und Damiano D'Innocenzo ihren Pessimismus nicht ins Gewand einer handelsüblichen Tragödie, sonst wäre Favolacce wahrscheinlich ähnlich unerträglich in seinem selbstgerechten Bierernst wie Jeanette Nordahls Wildland, der im November in den Schweizer Kinos starten wird. Nein, das Regieduo inszeniert den Zerfall des Vorstadtidylls mit einem gesunden Sinn für schwarzen Humor, der selbst den verstörendsten Szenen – etwa einer unsachgemässen Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmittel – noch eine entwaffnende Absurdität abgewinnen kann.

Diese Doppelbödigkeit ist von Anfang an Programm, als ein namenloser Erzähler beschreibt, wie er vom unvollendeten Tagebuch eines Mädchens zur folgenden, mit Nachdruck als fiktiv bezeichneten Geschichte inspiriert wurde. Doch die Rahmenhandlung erweist sich letztlich – trotz Max Tortoras hervorragender Voiceover-Leistung – als weitgehend wirkungsloser Kniff, als vorbeugender Verfremdungseffekt, um angesichts der Mischung von düsterer Satire und geradezu griechischer Tragik nicht der Geschmacklosigkeit bezichtigt zu werden.

Entsprechend fehlt Favolacce die letzte Konsequenz, um wirklich zu beeindrucken. Mit Samthandschuhen führen die D'Innocenzos ihr Publikum durch das ironisch gebrochene Geschehen: Auf eine Reihe ruhiger Sequenzen – quasi erzählerischer Leerlauf, der einen wohl in falscher Sicherheit wiegen soll – folgt ein Paukenschlag, ein Tabubruch mit Ansage, der im besten Fall kurz leeres Schlucken verursacht, letztlich aber kaum aufzuwühlen vermag. Die Provokation bleibt daher spitzbübisch und zahm, die lakonische Dekonstruktion der sich selbst zugrunde richtenden Bourgeoisie stimmungsvoll, aber inhaltlich kaum der Rede wert. Es ist ein ansprechendes Zweitwerk, aber der ganze grosse D'Innocenzo-Wurf lässt noch auf sich warten.

★★★

Sonntag, 4. Oktober 2020

ONE FOR YOU: "The Trial of the Chicago 7" & "The Cabinet of Dr. Caligari"


Just a few days after the release of One for You's bumper Zurich Film Festival special, it's back to business as usual: Olivia and I discuss Aaron Sorkin's wordy legal drama The Trial of the Chicago 7 and then counteract the verbiage by contemplating the silent Weimar classic The Cabinet of Dr. Caligari. You can listen to the episode on Spotify or wherever you get your podcasts.

Freitag, 2. Oktober 2020

The Trial of the Chicago 7

© Netflix/Ascot Elite/Cr. NIKO TAVERNISE/NETFLIX © 2020

★★★

"Dass Sorkins Inszenierung dieser hochgradig relevanten Themen hier so nebensächlich ist, dass der Film wahrscheinlich auch als Hörspiel funktionieren würde, fällt erstaunlich wenig ins Gewicht. Dafür sorgt neben Sorkins geschliffenem Drehbuch ein solider Cast, aus dem vor allem Mark Rylance und Sacha Baron Cohen herausstechen."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Donnerstag, 1. Oktober 2020

ONE FOR YOU: Zurich Film Festival 2020 Special


One for You host Olivia Tjon-A-Meeuw has done the impossible and gathered all of her current co-hosts in one special episode about the ongoing Zurich Film Festival. You can listen to Olivia, Mansi Tiwari, Astrit Abazi, and me talking about festivals in times of pandemic, our ZFF favourites, and our not-so-favourites on Soundcloud or wherever you get your podcasts.

Mittwoch, 30. September 2020

Never Rarely Sometimes Always

Eine bearbeitete Version dieser Kritik ist auch auf Maximum Cinema erschienen.

Rückblickend mutet es fast schon grotesk an, unter welchen Vorwänden sich in der jüngeren Vergangenheit amerikanische Filme über ungewollt schwangere Teenager aus der Abtreibungs-Affäre zogen.

In Jason Reitmans Juno (2007) etwa wird die Frage, warum die rotzfreche Titelheldin mit ihrer aufgeschlossenen Weltanschauung und ihren liebevollen Eltern sich gegen einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, mit einer Schulfreundin aus der Welt geschafft, die vor einer Planned-Parenthood-Klinik einen einsamen Protest abhält und Juno darauf hinweist, dass das werdende Kind in ihrem Bauch bereits Fingernägel habe. "Babies have fingernails?", wundert sich Juno, bevor sie kurz darauf aus dem Wartezimmer stürzt, enthusiastisch bejubelt von ihrer Altersgenossin – einer witzigen Verharmlosung der lauten, oftmals beängstigend aufgebrachten Menschenmassen, die man vor so mancher US-Abtreibungsklinik findet und die Teil einer Bewegung sind, in deren Namen schon Mordanschläge auf Planned-Parenthood-Ärzt*innen verübt wurden.

Etwas würdevoller, aber nicht weniger unbefriedigend, nahm Micah Magees Petting Zoo (2015) die Hürde, die es für einen Film über eine komplette Teenager-Schwangerschaft zu nehmen gilt. Hier endet der erste Akt mit der Protagonistin, die ihren eher konservativen Eltern vorsichtig das Thema Abtreibung zu unterbreiten versucht: "You’re not having an abortion", so die klare Ansage ihres Vaters. Und der Film scheint sich damit zufriedenzugeben: Im weiteren Verlauf wird kein weiterer Gedanke an diese Verneinung der körperlichen Integrität der Hauptfigur verschwendet.

Keines der beiden Werke wird durch diesen Umgang mit Abtreibung zu Fall gebracht. Beide wollen Geschichten über junge Frauen erzählen, die letztendlich ein Kind zur Welt bringen. Und das Gegenstück zur konservativen "Pro Life"-Ideologie ist bekanntlich nicht "Pro Abortion", sondern "Pro Choice" – wer schwanger ist, soll selber entscheiden können, was mit dem eigenen Körper geschieht.

Doch sowohl Juno als auch Petting Zoo sind symptomatische Beispiele für eine Spielfilmbranche, die sich immer noch schwertut, sich seriös mit Abtreibung auseinanderzusetzen. Reitman und Drehbuchautorin Diablo Cody witzeln sich um das Thema herum; Magee erwähnt es und lässt es sogleich, beinahe peinlich berührt, wieder fallen.

Autumn (Sidney Flanigan) ist ungewollt schwanger.
© Universal Pictures Switzerland
Somit ist bereits die blosse Existenz von Eliza Hittmans Never Rarely Sometimes Always eine Wohltat: Autumn (Sidney Flanigan) ist 17 Jahre alt und schwanger – und will es nicht sein. Doch ihre Aussichten auf einen sicheren Schwangerschaftsabbruch sind im kleinstädtischen Milieu Pennsylvanias begrenzt. Die zuständige Praxis wirkt weniger wie eine medizinische Einrichtung und mehr wie Grossmutters Wohnzimmer. Die Frauen, die Autumn untersuchen, decken sie mit Beteuerungen ein, dass alle ihre Sorgen verflogen sein werden, wenn sie ihr Kind erst einmal in ihren Armen hält. Eine von ihnen fragt Autumn, ob sie "abortion-minded" sei und zeigt ihr daraufhin einen "Pro Life"-Film mit dem Titel "Hard Truth" – auf Videokassette.

Zusammen mit ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) nimmt Autumn die Recherche selber in die Hand, findet heraus, dass Minderjährige in Pennsylvania für Abtreibungen eine elterliche Erlaubnis vorweisen müssen, und organisiert ein Busticket nach New York, um von den liberaleren Gesetzen in jenem Staat Gebrauch zu machen. 

Im heimischen Pennsylvania braucht Autumn elterliche Erlaubnis für eine Abtreibung, also plant sie eine Busreise nach New York.
© Universal Pictures Switzerland
Doch Never Rarely Sometimes Always beschreibt keine ruhmreiche Flucht aus dem konservativen Hinterland ins urbane Paradies. Vielmehr illustriert Hittman in ihrer schonungslos direkten Art das Leben in einem Land, in dem Frauen nicht über ihren eigenen Körper verfügen können – eine gesellschaftliche Pathologie, in welcher der erschwerte Zugang zu sicheren Abtreibungen lediglich ein besonders gefährliches Symptom darstellt.

In der Schule wird Autumn als "Slut" ausgegrenzt, derweil ihre männlichen Klassenkameraden für ihren Playboy-Lebensstil gefeiert werden. An ihrem Supermarkt-Arbeitsplatz werden sie und Skylar von ihrem Chef sexuell belästigt. In New York müssen sie sich von einem Typen helfen lassen, der Skylars sichtliches Desinteresse an ihm partout ignoriert. Das herzzerreissende Bild von Autumn, die sich den eigenen Bauch grün und blau boxt, um eine Fehlgeburt auszulösen, steht sinnbildlich für eine Kultur, die nicht nur von frauenfeindlichen Mechanismen dominiert ist, sondern Frauen sogar dazu erzieht, die verzweifelte Wut auf diese Machtlosigkeit gegen sich selber zu richten.

Autumn wird von ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) begleitet, mit der sie unter anderem die Avancen von Jasper (Théodore Pellerin) bewältigen muss.
© Universal Pictures Switzerland
Hittman und Kamerafrau Hélène Louvart lassen sich in ihrer Darstellung dieses Zustands weder von erzählerischen noch visuellen Schnörkeln ablenken. Die eine oder andere dramatische Verkürzung in Hittmans Drehbuch – so etwa die etwas schablonenhafte Charakterisierung des Supermarkt-Vorgesetzten – ist zu verkraften, weil die Geschichte als Ganzes auf maximale Effizienz abzielt: Jede Szene ist zielführend, ein notwendiger Schritt auf der Reise von Autumn und Skylar. Die klassischen Ablenkungen des Teenager-Roadmovie-Genres werden gänzlich ausgelassen; selbst der Besuch in einer Spielhalle ist vorab ein verbissener Versuch, in der City That Never Sleeps wach zu bleiben, zur eigenen Sicherheit.

Louvart, die bereits in Hittmans Beach Rats (2017) die Kamera führte und spätestens seit ihren Arbeiten für Alice Rohrwacher (Corpo celeste, Lazzaro felice) die Meisterin der körnigen Lo-Fi-Ästhetik ist, benutzt gedämpfte Farben und lange, einfache Einstellungen, um diesen nachgerade physischen Kampf um die eigene körperliche Integrität in stimmiger Sachlichkeit zu bebildern.

Autumn wird auf ihrer Abtreibungs-Odyssee mit der ernüchternden Realität des ganz alltäglichen Frauenhasses konfrontiert.
© Universal Pictures Switzerland
Doch gerade darin liegt die Brillanz ihres Beitrags. Louvarts formal auffälligster Kniff ist ein minutenlanger Blick auf Autumn in einem persönlichen Gespräch mit einer Planned-Parenthood-Fachfrau. Die Kamera bewegt sich kaum, der Fokus liegt auf Sidney Flanigans grandiosem Schauspiel und Hittmans erschütterndem Dialog – das Fehlen von klassischem cinematografischem Bombast legt den aufwühlenden Kern der Sache frei. Das Resultat ist die titelgebende Szene – eine Miniatur von geballter emotionaler Schlagkraft –, in der das nüchterne Fragebogen-Mantra "Never, rarely, sometimes, always" den schieren Horror der kulturellen Misogynie freilegt.

Während Juno und Petting Zoo Teenager-Schwangerschaft letztlich als erweiterte Metapher für das Erwachsenwerden benutzen, verfolgt Never Rarely Sometimes Always also ein konkreteres Projekt. Auch hier ist der lange Weg zur gewünschten Abtreibung zwar ein Schlüssel zu einem grösseren Diskurs. Doch Hittman gelingt es mithilfe einer eindrücklich simplen Erzählung, die Zusammenhänge zwischen Abtreibungsstigma und dem ganz alltäglichen Frauenhass aufzuzeigen – und das, ohne das Trauma ihrer Protagonistinnen zu einem distanzierten Lehrstück abzuwerten.

★★★★★

Mittwoch, 23. September 2020

Maximum Cinema Filmpodcast #9: ZFF-Programm, "Kiki’s Delivery Service", "I’m Thinking of Ending Things" und Rückblick auf Allianz Drive-In Cinema»

© Olivier Samter

Nur eine Woche nach Episode 8, bei der ich ferienbedingt nicht dabei war, kommen Daniel, Lola, Olivier und ich wieder zusammen, um in Folge 9 das Programm des 16. Zurich Film Festivals genauer unter die Lupe zu nehmen (Stichwort: Schnitzel). Ausserdem an der Tagesordnung stehen Diskussionen über Hayao Miyazakis Ghibli-Animationsklassiker Kiki's Delivery Service und Charlie Kaufmans Netflix-Kuriosum I'm Thinking of Ending Things.

Mittwoch, 16. September 2020

Hexenkinder

© Calypso Film AG, Edwin Beeler

★★★★

"Es ist kein erbauliches Bild des eigenen Landes, das sich dem Schweizer Publikum hier bietet, auch weil Hexenkinder nicht davor Halt macht, den Fall des Ingenbohler Netzwerks in einen umfassenden Kontext zu stellen. Denn für Beeler, der sich in seinem Schaffen schon mit dem Sonderbundskrieg (Grenzgänge, Der vergessene Krieg) und, im Rahmen der Doku-Anthologie L’histoire c’est moi (2004), mit Nazis in der Schweiz auseinandersetzte, ist das Schicksal seiner Hauptfiguren nicht nur eine bedauernswerte Episode in der finsteren Vergangenheit."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Montag, 7. September 2020

I'm Thinking of Ending Things

© Cr. Mary Cybulski/NETFLIX © 2020

★★★★

"I’m Thinking of Ending Things ist ein beängstigender Film über Männer, die das Leben und die Werke von Frauen für sich beanspruchen. Über die absurde Hilflosigkeit, Teil eines grossen Ganzen und letztlich trotzdem auf sich allein gestellt zu sein. Doch es ist auch ein faszinierender, bisweilen erschreckender, stellenweise aber auch seltsam erbaulicher Film über die Erkenntnis, dass jede Äusserung, jede Tat, vielleicht sogar jeder Gedanke und jedes Gefühl nur eine plumpe Annäherung an ein vorgefasstes Ideal ist – eine Imitation von etwas, das man bereits erlebt, gesehen, gehört oder gelesen hat."

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Samstag, 5. September 2020

The Personal History of David Copperfield

© Ascot Elite Entertainment Group


★★★★

"Dickens beanspruchte tausend Seiten für diese Reise, Iannucci nicht einmal zwei Stunden. Es überrascht nicht, dass der Film ins Straucheln gerät, sobald es auf das Ende – und damit auf die Auflösung jedes noch so überkandidelten Handlungsstrangs – zugeht. Das lässt sich jedoch mühelos verkraften. Nach der etwas blutleeren schwarzen Komödie The Death of Stalin (2017) zeigt sich Iannucci in seiner Inszenierung ungewohnt experimentierfreudig und legt ein hochgradig vergnügliches Ensemblestück voller Wortwitz und Slapstick vor."

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Mittwoch, 2. September 2020

Schwesterlein

© Vega / Praesens Film

★★★

"Starke Darbietungen von Nina Hoss, Lars Eidinger, Jens Albinus und Marthe Keller – vier der besten Darsteller*innen, die das deutschsprachige Kino derzeit zu bieten hat – heben ein unspektakuläres, gewollt theaterhaftes Drehbuch über den melodramatischen Durchschnitt, können letztlich aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Chuat und Reymond hauptsächlich vorgefasste Handlungselemente abhaken. Das ist das Problem mit Schwesterlein: Das Ganze ist kompetent gemacht, hinkt aber – wie so viele andere Schweizer Produktionen – dem internationalen Kinogeschehen weit hinterher."

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Dienstag, 1. September 2020

Maximum Cinema Filmpodcast #7: "Tenet", "The Batman"-Trailer, "The Personal History of David Copperfield" und Fantoche-Interviews

© Olivier Samter

Nach monatelangem Warten können Daniel Frischknecht, Olivier Samter und ich in Episode 7 des Maximum Cinema-Podcasts endlich über Christopher Nolans Tenet reden – Gesprächsstoff liefert der "Inception auf Steroiden" jedenfalls genug. Zudem unterhalten wir uns über den ersten Trailer zu The Batman, Olivier stellt die diesjährige Ausgabe des Animationsfilmfestivals Fantoche vor und spricht zu diesem Zweck mit Dustin Rees und Géraldine Cammisar, und zuletzt erzähle ich, warum mir The Personal History of David Copperfield so gut gefallen hat.

Sonntag, 23. August 2020

ONE FOR YOU: "Sibyl" & "Kingdom of Heaven" (Director's Cut)


In my latest appearance on the One for You podcast, Olivia and I find ourselves at a bit of a loss for words regarding the French drama Sibyl, which we make up for by talking a lot about the medieval politics on show in the 194-minute director's cut of Ridley Scott's 2005 epic Kingdom of Heaven. You can listen to the episode on Spotify or on the podcast app of your choice.

Samstag, 22. August 2020

Undine

© Filmcoopi Zürich AG

★★★

"Die metaphorische Stossrichtung ist für Petzold, zu dessen Werk die sogenannte 'Gespenster-Trilogie' gehört, kein Neuland: Die Geschichte lässt niemanden los, und ihre Echos verhallen niemals – gerade in Deutschland nicht. Trotz dieser weitreichenden historischen Dimension bleibt der narrative Ausblick von Undine enttäuschend beschränkt."

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Freitag, 21. August 2020

Tenet

© Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.

★★★

"Aber Nolan ist immer noch Nolan: Obwohl er seinen eigenen Hang zum eigentümlichen Erzählstil überreizt, lohnt sich der Blick auf das Resultat allemal. «Tenet» bietet trotz seines allzu theoretischen Rahmens zweieinhalb Stunden der Unterhaltung – nicht zuletzt dank seiner grossartig inszenierten Actionsequenzen, die einmal mehr die Vorzüge von Nolans Philosophie illustrieren, so oft wie möglich zugunsten von Stunts und praktischen Effekten auf CGI zu verzichten."

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Dienstag, 18. August 2020

Maximum Cinema Filmpodcast #6: "Scott Pilgrim vs. the World", "Artemis Fowl", "Animal Crackers" und Interview zu "Volunteer"

© Olivier Samter

In Episode 6 des Maximum Cinema-Podcasts gibt es Tickets für die Premiere von Christopher Nolans Tenet am 26. August zu gewinnen. Zudem feiern Olivier Samter und ich das zehnjährige Jubiläum von Edgar Wrights Scott Pilgrim vs. the World, von dem Daniel Frischknecht bis vor Kurzem noch nie etwas gehört hat. In den aktuellen Filmkritiken mache ich meinem Ärger über Disneys Romanverfilmung Artemis Fowl Luft, und Olivier erzählt von der chaotischen Produktionsgeschichte des neuen Netflix-Animationsfilms Animal Crackers.

Dienstag, 11. August 2020

Days of the Bagnold Summer

© Ascot Elite Entertainment Group

★★★★

"Innerhalb dieses konventionellen Rahmens jedoch glänzt der Film mit seinem sympathischen Sinn für Humor und seiner feinfühligen Darstellung der zentralen Mutter-Sohn-Beziehung. Days of the Bagnold Summer handelt vom Ineinandergreifen von Pubertät und Midlife-Crisis; davon, wie jugendliches Rebellieren dazu führen kann, dass ein Elternteil den eigenen Lebenswandel zu hinterfragen beginnt – und damit den eigenen Nachwuchs noch mehr verunsichert."

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