Eine bearbeitete Version dieser Kritik ist auch auf Maximum Cinema erschienen.
Mit dem oscarprämierten
Fences (2016) und einem inzwischen arg verwässerten HBO-Deal hat sich Denzel Washington zum inoffiziellen Verwalter des künstlerischen Erbes des legendären afroamerikanischen Dramatikers August Wilson aufgeschwungen. George C. Wolfes Netflix-Titel
Ma Rainey's Black Bottom, der von Washington produziert wurde und ursprünglich Teil einer längeren HBO-Reihe von Wilson-Verfilmungen hätte sein sollen, zeigt, dass dieses Arrangement ein zweischneidiges Schwert ist.
Um zu verstehen, was sich Washington unter einer angemessenen Leinwandinterpretation eines Wilson-Stücks vorstellt, genügt ein Blick hinter die Kulissen von
Fences, seiner eigenen Adaption des gleichnamigen Tony-Gewinners von 1985: "Die Stars des Films sind das Skript und August Wilsons Worte", nannte Koproduzent Todd Black das Motto bei den Dreharbeiten. Washingtons zentrale Regieanweisung an jedes Crewmitglied war unmissverständlich: "Don't make any decision without August Wilson's words leading you to make that decision." Wilson, der zu diesem Zeitpunkt schon rund zehn Jahre tot war, wurde als alleiniger Drehbuchautor aufgeführt.
Das Ziel dieser Ergebenheit vor dem Originaltext ist so verständlich wie legitim: Indem er ihn durch das Massenmedium Film einem breiteren Publikum möglichst "ungefiltert" bekannt macht, will Washington Wilsons Platz im Pantheon des zeitgenössischen amerikanischen Theaters zementieren und dafür sorgen, dass er im kollektiven Bewusstsein nicht mehr von weissen Autoren wie David Mamet (
Glengarry Glen Ross) oder Tony Kushner (
Angels in America) überschattet wird. Unter diesem Gesichtspunkt darf
Fences, ein textlich dichtes Kammerspiel mit einem herausragenden Schauspielensemble, als durchschlagender Erfolg bezeichnet werden.
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Ma Rainey (Viola Davis) ist der grösste Blues-Star der Zwanzigerjahre. © David Lee/Netflix
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Gleichzeitig ist der Film aber alles andere als ein Meisterwerk der Inszenierung. Washingtons Regie ist dermassen funktional, dass sie sich kaum von jener einer aufwendigen Theater-Aufzeichnung unterscheidet. Wären die Darsteller*innen, insbesondere Viola Davis, Stephen McKinley Henderson und Washington selbst, weniger einnehmend, wäre Fences weniger eine Hommage an die Dynamik und die anhaltende Relevanz von Wilsons Schaffen als eine sperrige und letztlich inkommensurable Annäherung an ein Live-Erlebnis.
Warum das für Ma Rainey's Black Bottom von Belang ist? Weil George C. Wolfes Wilson-Verfilmung ist aus dem gleichen Holz geschnitzt ist wie Fences. Washington mag hier nur produziert haben, das Drehbuch mag Ruben Santiago-Hudson zugeschrieben werden – doch auch dieser Film rekonstruiert mehr als er adaptiert.
Abgesehen von ein paar evokativen langen Einstellungen und der einen oder anderen kreativen Ausleuchtung, ist es das Quellenmaterial, das in Ma Rainey den Ton angibt. Die Geschichte von Ma Rainey (Viola Davis), der herrischen "Mother of the Blues", die im Chicago der Zwanzigerjahre zusammen mit ihrer eingespielten Band (Colman Domingo, Glynn Turman, Michael Potts) und einem aufmuckenden Trompetenspieler (Chadwick Boseman) ein Album aufnehmen muss, wird mitsamt aller bühnenspezifischen Eigenheiten aus Wilsons Stück übernommen, wobei besonders die seitenlangen Monologe herausstechen, in welche die Figuren in entscheidenden Momenten spontan verfallen. Auch fällt auf, wie scheinbar ziellos Tobias A. Schliesslers Kamera umherirrt, wie willkürlich Andrew Mondsheins Schnitt wirkt, sobald kein Redegefecht auf dem Programm steht.
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An einem heissen Sommertag muss Ma Rainey in Chicago ein Album aufnehmen. © David Lee/Netflix
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Wie schon bei Fences hat aber auch diese eiserne Konzentration auf den Text ihren Reiz – und auch Ma Rainey, immerhin inszeniert von einem gelernten Theaterregisseur und 45 Minuten kürzer als Washingtons Wilson-Monument, erfüllt seinen Zweck. Es ist wahrlich beeindruckend, einmal mehr Wilsons Qualität als literarischer Chronist des afroamerikanischen Lebens im 20. Jahrhundert vorgeführt zu bekommen. Anhand des frühen Musik-Superstars Ma Rainey verhandeln Wilson und Santiago-Hudson die weisse Vermarktung schwarzer Kunst, die nicht selten in der historischen Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung verwurzelt ist. In einem der ersten längeren Gespräche des Films diskutieren Bandleader Cutler (Domingo), Pianist Toledo (Turman), Bassist Slow Drag (Potts) und Trompeter Levee (Boseman) darüber, ob es überhaupt einen Unterschied gibt zwischen dem höflichen Respekt, den sie ihren weissen Arbeitgebern aus finanziellen Gründen entgegenzubringen haben, und der Angst, die sie aufgrund von Lynchmobs und Alltagsrassismus seit ihrer Kindheit begleitet.
Eine der grossen Stärken von Ma Rainey ist, dass es ihm gelingt, diese gesellschaftlichen Fragen in einen Zusammenhang mit der kulturellen Vormachtstellung des "weissen Geschmacks" zu stellen. Es ist die perfide "Kuratierung" schwarzer Kultur – etwa das begrenzte Privilegieren einzelner Künstler*innen oder die zynische Aneignung, sozusagen das Whitewashing, gewisser Innovationen –, die dafür gesorgt hat, dass in den multikulturellen, multiethnischen Vereinigten Staaten bis heute von einem weissen Mainstream ausgegangen wird.
Die allerbesten Szenen des Films sind die, in denen hinter das schwierige, ja arrogante Gehabe der grossen titelgebenden Diva geblickt wird: Starallüren mögen ein Teil davon sein; aber wer sich als unabhängige schwarze, bisexuelle Frau im US-Showbusiness der Zwanzigerjahre behaupten will, muss sich jener Druckmittel bedienen, die ihr zur Verfügung stehen. Ma Rainey ist sich bewusst, dass ihre Figur und ihre Stimme Handelswaren sind, also zieht sie (noch) einen Nutzen daraus, sich rar zu machen: Wer zu spät zu Albumaufnahmen erscheint und sich unnahbar verhält, lässt den weissen Managern und Studiobesitzern (hier vertreten durch Jeremy Shamos und Jonny Coyne) weniger Zeit, einem ins Handwerk zu pfuschen – und zögert den Moment heraus, in dem das Label, Schallplattentechnik sei Dank, auch ohne Künstlerin Profit aus ihrem Gesang schlagen kann.
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In den Aufnahmepausen entladen sich die Konflikte unter den Bandmitgliedern Levee (Chadwick Boseman, 2.v.l.), Cutler (Colman Domingo, rechts), Toledo (Glynn Turman, links) und Slow Drag (Michael Potts). © David Lee/Netflix
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Die allzu bühnengetreue Inszenierung des Stoffs, welche die Erörterung dieser Themen bisweilen etwas gar didaktisch wirken lässt, findet ihre Rettung in einem Cast, der dem von Fences in nichts nachsteht. Viola Davis unterläuft mit ihrer lauten, offenherzig erotischen Ma Rainey das gewissenhaft-propere Image, das ihr in Filmen wie Doubt (2008), The Help (2011) und, ja, Fences angedichtet wurde. Chadwick Boseman, in seiner letzten Rolle vor seinem Krebstod im August dieses Jahres, begeistert als geradezu manischer Levee vor allem dann, wenn er sich mit den ruhiger agierenden Domingo, Turman und Potts auseinandersetzt und sich dabei an der unscharfen Grenze zwischen freundschaftlichem Sticheln und ernsthaften Anwürfen zurechtfinden muss.
Es sind diese einfühlsamen und vielschichtigen Interpretationen von Wilsons faszinierenden Figuren, die einen handwerklich blassen Film zu einer sehenswerten Theateradaption machen. Doch sie täuschen auch nicht darüber hinweg, dass man den wegweisenden Werken des grossen Dramatikers Verfilmungen wünschen würde, die über ehrfürchtiges Rezitieren hinausgehen.
★★★