Stell dir vor, ein Kind stirbt – und du musst lachen. So geschehen in Lieber Kurt, dem neuesten Versuch von Til Schweiger, sich nicht nur als dramatischer und komödiantischer Hauptdarsteller, sondern auch als Regisseur, Co-Autor, Produzent und allgemeiner Meister der Craft (Materie) zu beweisen.
In seiner Verfilmung von Sarah Kuttners Roman Kurt (2019) – nicht nur irgendein popeliges Stück Belletristik, sondern ein Bestseller, mahnt eine bombastische Ankündigung, die sich aus dem Trailer in den Vorspann des fertigen Films verirrt zu haben scheint – spielt Schweiger eine der beiden Titelfiguren: Kurt ist der beste Werbetexter Deutschlands, der liebevollste Partner für seine jüngere Freundin Lena (Franziska Machens), der virilste "Haus-Einbumser" Brandenburgs – und, vor allen Dingen, der fürsorglichste, hingebungsvollste, coolste Vater, den sich Kurt (Levi Wolter), sein sechsjähriger Sohn aus erster Ehe, jemals wünschen könnte.
Doch dann geschieht eben das Unmögliche: An einem ganz normalen Mittwochmorgen bringt Kurt Senior die menschgewordene Micky-Maus-Magazin-Witzseite, die er einst in die Welt setzte, zur Schule, nichts ahnend, dass er damit gerade einen langen, klischeebeladenen Trauer- und Reifeprozess angetreten hat.
Schon bald sieht das Publikum Kurt Junior auf einem Pausenhof-Klettergerüst sitzen. Die mentalen Alarmglocken läuten, selbst wenn einem Regisseur Schweiger den Establishing Shot, anhand dessen sich eruieren liesse, wie viele Meter den todgeweihten Plot-Katalysator vom Boden trennen, aus nicht ersichtlichem kreativem Kalkül vorenthält.
Es folgt süssliches Kinder-Flirten zwischen Kurti und einer Klassenkameradin – bis die herzallerliebste Szene jäh von einem harten Schnitt zu einer Aufnahme von Sami Nasser unterbrochen wird: Es ist das erste Mal, dass man den Darsteller in diesem Film zu Gesicht bekommt; er spielt, der Besen in der Hand verrät es, den augenscheinlich nur zu Bewegungen in Zeitlupe fähigen Schulhausmeister. Mit wortloser Entzückung wohnt er dem kindlichen Werbeverhalten bei, bevor sich seine Miene schlagartig ändert: Das eben noch freudige Lächeln weicht einem angstvollen Blick. Was ist passiert?
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Schnitt zurück zu Kurti, der sich beim Abstieg verschätzt zu haben scheint – dort, wo er eben noch sass, sind jetzt nur noch seine kleinen Kinderhände zu sehen, die sich schwach an die oberste Querstange des Klettergerüsts klammern, bevor sie, in dramatischer Zeitlupe, abrutschen und aus dem Sichtfeld des Publikums verschwinden. Nasser, immer noch in seiner eigenen Einstellung gefangen, stösst einen stummen Schrei des Entsetzens aus; sein Besen fällt – natürlich in verlangsamter Bildfolge – bedeutungsschwanger zu Boden. Szenenwechsel zu Kurt Senior, der die schreckliche Nachricht per Telefon erhält – und zu Lena, die ihrer Schwester vom Tod ihres Stiefsohns berichtet und sich in einem unmotiviert absurden Missverständnis darüber verheddert, welcher Kurt denn jetzt das Zeitliche gesegnet haben soll.
Diese Szene dermassen detailliert auseinanderzunehmen, mag haarspalterisch wirken, ist aber nötig, um eine Vorstellung der schieren Inkompetenz zu erhalten, mit der hier dramatisches, bisweilen tragikomisches Kino mit aufrichtigem emotionalem Anspruch gemacht wird. Kurtis Tod ist nicht weniger als die emotionale Crux von Lieber Kurt, der zentrale Wendepunkt im Leben der beiden erwachsenen Hauptfiguren. Doch dank des massiv inferioren Filmhandwerks verpufft der Moment nicht nur – er degeneriert zu einer unfreiwillig komischen Karambolage unzusammenhängender, parodiehaft pathetisch inszenierter Bilder.
Diese Szene, die 25 Minuten, die auf sie hinarbeiten, und die zwei Stunden, die auf sie folgen, sind eine nahezu perfekte Illustration, was passiert, wenn ein fundamental untalentierter Filmemacher wie Til Schweiger über so viel Geld und Einfluss verfügt, dass er es sich leisten kann, jegliche Verbesserungsvorschläge zu ignorieren und seine eigenen Defizite in einen persönlichen Stil umzumünzen. Lieber Kurt ist der 17. Film, bei dem Schweiger Regie führt; Kassenschlager wie Keinohrhasen (2007), Kokowääh (2011) oder Honig im Kopf (2014) sowie seine eigene Tätigkeit als Produzent erlauben ihm Freiheiten, von denen andere nur träumen können.
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Die Erfahrung, die er in diesen Jahren sammeln konnte, und die Schauwerte, die ihm seine Budgets ermöglichen, genügen, um selbst einen Film wie Lieber Kurt zumindest oberflächlich halbwegs kompetent aussehen zu lassen – im Unterschied zu offensichtlicheren, da weitaus billiger produzierten Stümpereien wie etwa Tommy Wiseaus Kult-Machwerk The Room (2003).
Doch es braucht nicht viel, um diese Illusion zu durchbrechen. Immer wieder macht der Film mit unsinnigen Regie- und Schnitt-Entscheidungen – gleissendem Gegenlicht, inkohärenter Montage, grundlos umständlichem Blocking, visuellen Redundanzen – auf das eigene technische Unvermögen aufmerksam. Der inflationäre Gebrauch von Soundeffekten unterminiert mit schöner Regelmässigkeit die Intention einzelner Momente – sei es Til Schweigers Zeitlupen-Kniefall an Kurtis Grab, der von einem hochgradig unpassenden "Plopp", das seinen Aufprall am Boden kennzeichnen soll, akzentuiert wird, oder die Umarmung von Kurt und seiner Ex-Frau Jana (Jasmin Gerat), die, als sich die Köpfe der beiden berühren, mit einem unüberhörbaren "Bonk" der Lächerlichkeit preisgegeben wird.
Nach gefühlt jeder dritten Szene kommt der ohnehin schon quälend schleppende Erzählfluss dank ausgedehnter Zeitlupen-Sequenzen, die mit ihren unspezifischen Motiven gutbürgerlicher Vergnügungen wahlweise an Bier-, Versicherungs- oder Banken-Werbespots erinnern, vollends zum Erliegen.
Der Versuch, die widersprüchlichen Gefühle, die ein Trauerfall auslösen kann, erzählerisch abzubilden, gerät aufgrund einer Handvoll willkürlich eingestreuter Klamaukszenen indes zu einem bizarren Akt der emotionalen Selbstsabotage. Wer naiverweise denkt, dass die Messe mit dem rührselig-philosophischen Voiceover-Monolog, den Franziska Machens nach 135 Minuten Laufzeit über die seelenheilenden Erinnerungen an den engelsgleichen Kurti hält, gelesen wäre, hat die Rechnung ohne die nicht enden wollende Comedy-Coda gemacht, in der noch die Ursprungsgeschichte der Beziehung von Kurt Senior und Lena nachgereicht wird.
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Doch genug der Aufzählung der haarsträubenden Fehlentscheidungen, die sich Lieber Kurt leistet: Wovon erzählt der Film denn überhaupt? Nun ja, vordergründig handelt er von Trauer – Leas Trauer, Opa Peter Simonischeks Trauer, aber vor allem Kurts Trauer. Kurt ist nämlich nicht nur – wie im Film explizit bestätigt – der beste Werbetexter, der beste Vater, der beste Autofahrer, der beste Kartenspieler, der beste Sexpartner, der beste Kontrahent in einer Barschlägerei, sondern auch der allerbeste Trauerer. René Richters Kamera kann sich kaum sattsehen an Schweigers tränenverhangenem Gesicht; immer und immer wieder wird dem Publikum die sattsam bekannte Binsenweisheit eingeprügelt, dass Trauer kompliziert ist und selbst ein so toller Kerl wie Til Schweiger Monate, wenn nicht sogar Jahre braucht, bis er sich wieder einigermassen gefangen hat.
Mit anderen Worten: In dem Konzept, das hier zu einem zweieinhalbstündigen Monument für Schweigers Ego breitgetreten wird, steckt kaum genug Material für einen halb so langen Film. Es ist durchaus möglich, dass Kuttners Roman zu einer besseren Leinwandadaption hätte verarbeitet werden können. Doch da hätte jemand anderes als einer der unbegabtesten Blockbuster-Schmiede des Gegenwartskinos hinter der Kamera stehen müssen.
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