Wie viel Bedeutung kann in einer Kombination aus Kostümdesign und Casting stecken? Asteroid City, der neue Film des oft parodierten, niemals erreichten – und allzu oft missverstandenen – Wes Anderson, liefert ein wunderbares Anschauungsbeispiel.
Das Casting: Tom Hanks als Stanley Zak, der mürrische Schwiegervater des frisch verwitweten Protagonisten Augie Steenbeck (Jason Schwartzman). Das Kostüm: ein hellgelbes Hemd, eine gemusterte Golfhose in Cyan, ein lässig um die Taille gebundener hellblauer Pullover, eine Pistole im Hosenbund.
Hanks ist schon seit Jahrzehnten Hollywoods Inbegriff des "all-American hero", des herzensguten Jedermanns, der mit Geduld, Integrität und mal volkstümlicher, mal väterlicher Weisheit den Herausforderungen des modernen Lebens trotzt. Als Forrest Gump meisterte er so die Untiefen der amerikanischen Nachkriegsgeschichte; als Cowboy Woody in Toy Story (1995) war er die Rechtschaffenheit in Person; als Viktor Navorski nahm er es in Steven Spielbergs The Terminal (2004) mit dem US-Einwanderungssystem auf. In Clint Eastwoods Sully (2016) spielte er den Piloten Chesley Sullenberger, der mit beherztem Handeln eine Flugzeugkatastrophe verhindert; in Bridge of Spies (2015), erneut unter Spielberg, trat er als Pflichtverteidiger eines sowjetischen Spions für die demokratischen Grundrechte der USA ein.
Und nun steht Hanks, dieses überlebensgrosse filmische Symbol für Güte und Gerechtigkeit (ein Ruf, mit dem er nach eigenen Angaben bisweilen hadert), das erste Mal in der minutiös sortierten Pastell-Puppenhaus-Welt von Wes Anderson – und ist plötzlich reich, grummelig und bewaffnet, ein Bild unnahbarer Männlichkeit im stilisierten Fünfzigerjahre-Setting von Asteroid City. Einer der ersten Sätze, der aus Stanley Zaks Mund zu hören ist: "I never loved you", gerichtet an den Kriegsfotografen Augie, der mit seinem hochbegabten Sohn Woodrow (Jake Ryan), seinen aufmüpfigen Drillingstöchtern (Ella, Gracie und Willan Faris) und der Asche seiner kürzlich verstorbenen Ehefrau ins verschlafene Wüstennest Asteroid City gereist ist, um an der alljährlichen "Junior Stargazer Convention" teilzunehmen.
In der verschachtelten Science-Fiction-Coming-of-Age-Tragikomödie, die im Laufe ihrer 100 Minuten gut zwei Dutzend Figuren einführt, mag Zak nur eine kleine Nebenrolle spielen. Doch der Vorzeigeamerikaner Hanks als selbstsicherer Patriarch, dessen Garderobe auch als implizite Drohung zu verstehen ist, reiht sich nahtlos in Andersons anhaltende Auseinandersetzung mit dem beklemmenden Erbe des (US-amerikanisch geprägten) 20. Jahrhunderts ein: Rushmore (1998) hinterfragte die Mär des aussergewöhnlichen Individuums, The Royal Tenenbaums (2001) die Macht von Familiendynastien, The Grand Budapest Hotel (2014) und The French Dispatch (2021) die Illusion der unkompliziert idyllischen Vergangenheit; Stanley Zak steht sinnbildlich für joviale Fassade der amerikanischen Kultur und die Gewaltbereitschaft, die sich dahinter verbirgt. (Und gleichzeitig ist er im Grunde eine perfekte Metapher für Wes Andersons Kino: auf den ersten Blick unkompliziert und beschaulich, bei genauerem Betrachten aber weitaus düsterer als zunächst gedacht.)
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© Universal Pictures Switzerland / © 2023 Focus Features, LLC. |
Damit steht er in Asteroid City nicht allein. Der Besuch der Steenbecks in Asteroid City – einer grossartig realisierten Mischung aus staubigen Location-Schauplätzen und theaterhaften Kulissen – entpuppt sich schnell als Mikrokosmos der Fünfzigerjahre und des ach so gloriosen Booms, den die USA nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte.
Der Sternengucker*innen-Kongress, bei dem der Teenager Woodrow zusammen mit einigen Altersgenoss*innen (Grace Edwards, Ethan Josh Lee, Aristou Meehan, Sophia Lillis) für einen wissenschaftlichen Durchbruch ausgezeichnet wird, entwickelt sich aufgrund eines unvorhergesehenen Ereignisses schnell in eine Machtdemonstration der US-Armee – die sich, in Form von General Grif Gibson (grossartig: Jeffrey Wright), gegen präsidiale Einmischungen sträubt und, so scheint es, schon sehnsüchtig in Richtung des von demokratischen Einschränkungen entbundenen militärisch-industriellen Komplexes linst. Am Wüstenhorizont von Asteroid City steigen indes regelmässig die Atompilze in die Höhe – denn man will ja für den Ernstfall gerüstet sein, ob die Bedrohung nun aus der Sowjetunion oder aus dem All kommt. Und dann ist da noch Midge Campbell (Scarlett Johansson), die berühmteste Schauspielerin ihrer Generation, die den Motel-Bungalow neben den Steenbecks bewohnt und dort eine suizidale Szene nach der anderen "probt".
Wie so oft bei Anderson steht also die rigoros komponierte Welt in starkem Kontrast zu den Figuren, die sie bewohnen, und den Szenarien, die sich in ihr abspielen. Augie, Midge, Stanley, die Steenbeck-Kinder, ja sogar Randerscheinungen wie die bibelfeste Lehrerin June (Maya Hawke), die sich in den tourenden Countrymusiker Montana (Rupert Friend) verguckt, oder die alleinstehende Astronomin Dr. Hickenlooper (Tilda Swinton), die sich fragt, ob sie sich wohl Kinder wünschen sollte: Sie alle sehnen sich danach, ihrem Leben jene Ordnung zu verleihen, wie sie in Andersons symmetrischen, pastellfarbdramaturgisch makellosen Bildern herrscht – und müssen letztlich feststellen, dass ihr Heil im Gegenteil liegt, im Akzeptieren von und Fertigwerden mit dem Chaos und den Ungereimtheiten, die so eine amerikanische Mittelklasse-Existenz mit sich bringt.
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Asteroid City ist aber nicht nur ein weiterer Beleg für die politische Dimension von Andersons Schaffen – eine Dimension, die leider nur allzu gerne vergessen oder geleugnet wird –, sondern auch ein raffiniertes Stück Selbstreflexion. Wie schon in
Moonrise Kingdom (2012),
The Grand Budapest Hotel und
The French Dispatch sieht sich das Publikum hier mit einer ganzen Menge an erzählerischen Filtern konfrontiert. Die Geschichte des trauernden Augie Steenbeck im verrückten Wüstenkaff ist, das wird einem schon in den ersten Minuten des Films eingetrichtert, erstunken und erlogen.
Noch bevor Kameramann Robert Yeoman den Hauptschauplatz mithilfe einer atemberaubenden Reihe von Schwenkaufnahmen in seiner ganzen CinemaScope-Pracht präsentieren darf, spricht ein schwarzweisser, ins beinahe quadratische Academy-Bildformat gezwängter Fünfzigerjahre-Fernsehmoderator (Bryan Cranston) direkt in die Kamera: Asteroid City gebe es nur als literarisches Konstrukt, mahnt er; erfunden wurde es vom legendären Theaterautor Conrad Earp (Edward Norton) – ein bisschen Tennessee Williams, ein bisschen Eugene O’Neill –, und sein Bühnenstück Asteroid City soll den Menschen zu Hause an den Flimmerkisten eine Vorstellung davon geben, was denn so alles zu einer Theaterinszenierung dazugehört.
So wie Moonrise Kingdom an Benjamin Brittens The Young Person’s Guide to the Orchestra aufgehängt war – einer musikpädagogischen Schallplatte über die Zusammensetzung eines Orchesters –, so ist Asteroid City eine stilisierte Ode an den langen, komplexen, mitunter frustrierenden Prozess, erzählerische Kunst zu schaffen. Denn Conrad Earps Meisterwerk ist nicht etwa ein spontaner Geniestreich, der in vollendeter Form der Fantasie des Südstaaten-Dandys entsprang. Nein, zwischen Idee ("a play about infinity and I don’t know what else") und Premiere stehen neben Schreibblockaden und der ungewöhnlichen Entdeckung des späteren Hauptdarstellers auch eine turbulente Unterrichtseinheit des Schauspiellehrers Saltzburg Keitel (Willem Dafoe), der neurotische Theaterregisseur Schubert Green (Adrien Brody) und ein leidenschaftlicher Kampf um die weibliche Hauptrolle.
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Diese Art der künstlerischen Selbstreflexion kann schnell zum billigen Gimmick werden; in Asteroid City hingegen wird sie zu einer nachdenklichen Hommage des klassischen Auteurs Anderson an die Kraft des kreativen Kollektivs. "Wes Anderson" ist längst zur Marke geworden; mit seinem Namen lassen sich Kleider verkaufen und Cafébesucher*innen anlocken; wer auf TikTok, Instagram oder Twitter danach sucht, findet zahllose Parodien und AI-Monstrositäten, die The Lord of the Rings oder Succession mit dem Anderson-Filter versehen (zumeist ohne Verständnis dafür, was genau Andersons Stil ausmacht). Doch hier wird dieser Personenkult sanft unterlaufen: Earp und Green mögen Asteroid City ihren Stempel unmissverständlich aufgedrückt haben, doch das, was schliesslich Geschichte schrieb, wäre ohne die illustre Truppe von Darsteller*innen, Bühnenbildner*innen, Licht- und Tontechniker*innen, Ex-Partner*innen und entlassenen Mitwirkenden nicht möglich gewesen.
Diese Verneigung vor dem Kino als dem ultimativen kollaborativen Medium ist bei einem für seinen inszenatorischen Perfektionismus berühmten Regisseur wie Anderson ganz besonders faszinierend, suggeriert sie doch, dass er seinen Figuren nicht ganz unähnlich ist: Auch er muss letztendlich Frieden mit der Tatsache schliessen, dass sich gewisse Dinge seiner Kontrolle entziehen.
Gleichzeitig wirkt diese vielschichtige Rahmenhandlung aber auch wie eine Replik an jene, die darauf bestehen, Anderson auf seinen markanten Stil zu reduzieren und seine Filme als tiefenlose Stilübungen abzutun, in denen vor lauter Künstlichkeit kein Platz für wahre Emotionen bleibt.
Einer der Höhepunkte von Asteroid City – einer Geschichte, die selbst im Universum des Films selbst fiktiv ist – ist ein Gespräch zwischen dem Augie-Darsteller Jones Hall (ebenfalls gespielt von Jason Schwartzman) und einer Schauspielerin (Margot Robbie), die im Theater nebenan auftritt und die, wie sich herausstellt, ursprünglich als Augies Ehefrau gecastet worden war, ehe die Szene im Papierkorb landete. Es sind die letzten Minuten eines Films über eine Fernsehdokumentation über ein Theaterstück; die beiden Mimen treffen sich zufällig während einer Pause, stehen auf zwei gegenüberliegenden Feuertreppen, erinnern sich an die kreative Partnerschaft, die sie fast miteinander eingegangen wären, und rekapitulieren den tragischen Abschiedsdialog, den sie ursprünglich hätten spielen sollen.
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Die Zahl der verfremdenden Schichten, die zwischen der Traurigkeit von Augie und seiner sterbenden Ehefrau und dem Kinopublikum liegen, ist bis hierhin wohl in den zweistelligen Bereich gestiegen – doch die emotionale Schlagkraft des Moments wird dadurch nicht gehemmt. Im Gegenteil: Die künstlerische Abstraktion, die mit zusätzlicher Signifikanz aufgeladenen Abstufungen zwischen Realität und Fiktion – die Hintergrundgeschichten über die Figuren, die Schauspieler*innen, den Autor, den Regisseur, die Verweise auf Andersons eigenes Ensemble – verleihen der Szene umso mehr poetische Schärfe.
Es mag sein, dass Asteroid City es mit dieser Anhäufung von Figuren, Nebenplots, erzählerischen Experimenten, Metakommentaren und Gesellschaftskritik ein wenig zu gut meint. Gerade im Vergleich zum nicht minder rasanten The Grand Budapest Hotel wünscht man sich hier stellenweise, dass die ruhigeren Momente etwas mehr Spielraum erhielten, etwas harmonischer in ihr absurd-komisches Umfeld eingebettet würden. Andererseits ist die schiere Reichhaltigkeit des Films, wie immer bei Anderson, auch eine Einladung zur Zweitvisionierung – eine Einladung, der man nur zu gerne Folge leistet.
★★★★